Antonin Dvorák: Sinfonien 7 und 8; Baltimore Symphony Orchestra, Ltg.: Marin Alsop; Naxos 8.572112
Der Stand des Dirigenten ist besetzt vom Mythos der Männerexklusivität. Auch Frauen dirigieren, und das seit mehr als hundert Jahren und heutzutage in beträchtlicher Zahl. Aber nur wenige Dirigentinnen treten auffällig in Erscheinung. Einen Überblick präsentiert ein sieben Jahre altes Buch in deutscher Sprache, verfasst – wie nicht anders zu erwarten – von einer Frau, die selbst dirigiert: Elke Mascha Blankenburg. Dass die Behandlung des Themas sich in der weiblicher Emanzipation vorbehaltenen Abteilung angesiedelt hat, kann aus der Sachlage heraus nicht verwundern.
Die meisten der heute aktiven Dirigentinnen besetzen nachgeordnete Positionen oder weichen auf freiberufliche Tätigkeiten aus. Die Gründe sind nachvollziehbar: Dirigierende Frauen werden nicht an ihrer Kompetenz gemessen; nachteilige Folgen für sie ergeben sich aus ihrer geschlechtsbedingten Position in der Gesellschaft. Eine derartig verfestigte Sonderbeurteilung betrifft übrigens auch in Wissenschaft und Lehre tätige Frauen, die gegenüber Männern deshalb immer noch in der Minderzahl vertreten sind. In der Musik haben es Instrumentalsolistinnen auf Klavier, Geige und sogar Cello, auch komponierende Frauen mit Durchsetzungsfähigkeit und nachfolgender Reputation relativ leichter als Dirigentinnen. Also lautet die lapidare Feststellung: Frauen dirigieren auch. Etwas leiser und verhalten ironisch nachgeschoben wird die Frage: Können sie denn wirklich dirigieren? Tun sich die heute immer noch männerdominierten Orchester schwer, Frauen als regelsetzende Präzeptoren zu akzeptieren? Reagieren sie auf Anweisungen von Dirigentinnen womöglich reserviert, so dass die Ergebnisse als blass abqualifiziert und – was naheliegt – leicht an die Leitungsebene zurückverwiesen werden können? So landet bei solcherart defizitären Erscheinungen der schwarze Peter gewohnheitsgemäß bei den Dirigentinnen, denen er schadet. Am Ende steht die so simple wie impertinente Conclusio: Frauen sind eben doch keine richtigen Dirigenten. Ausnahmen in jeder Beziehung existieren, bestätigen aber auch die Regelfälle. Genannt seien beispielhaft die 54-jährige US-Amerikanerin Marin Alsop, Hamburgs Generalmusikdirektorin und Hochschulprofessorin Simone Young, 49, gebürtige Australierin sowie die 38-jährige Estin Anu Tali. Marin Alsop, Chefdirigentin des Baltimore Symphony Orchestra, hat von den „big five“ in den USA die in New York, Philadelphia, Chicago und Boston geleitet. Auch in Europa ist sie mit bedeutenden Orchestern – in London, in Deutschland – aufgetreten. Vielleicht hat sie bei manchem sogar Fuß gefasst.
Von allen dirigierenden Frauen aber dürfte Marin Alsop, so scheint es, am aktivsten und erfolgreichsten auf Tonträger vertreten sein. Für ihr Label Naxos hat sie amerikanische Musik des 20. Jahrhunderts aufgenommen, spättonale wie minimalistische. Zu Bartók beweist sie einen genuinen Zugang, und aufgefallen ist ihre hochkünstlerische, dabei ganz natürliche Einstellung zu den vier Brahms-Sinfonien. Ihnen hat sie von Dvorák die e-Moll-Sinfonie und nun dessen siebte und achte folgen lassen. Bei der Darstellung dieser Kompositionen fällt ihre unaufgeregte, kontrolliert emotionale, souveräne Haltung auf (diese bestätigt sich bei ihren Live-Auftritten). Sie missversteht Dvoráks im Ganzen brahmsnahe Sinfonien nicht als Bravourstücke, als die sie so oft ausgestellt werden. Dvoráks Stücke sind Erzählmusik mit differenziertesten Schattierungen im Wechselgefälle des lyrischen und des dramatischen Ausdrucks. Diesen speziellen Abläufen nachzugehen, bedarf einer ausbalancierten musikalischen Herangehensweise, gesteuert von Sensibilität, Zuneigung und Bescheidenheit. Effektvolles Auftrumpfen verfehlt das Ziel. Dirigenten von landsmannschaftlich gleicher Herkunft wie Dvorák, zum Beispiel ein Künstler vom Rang Rafael Kubeliks, aber ebenso Wolfgang Sawallisch haben das vorgemacht, und deren Nachfolger wie István Kertész und jetzt Marin Alsop sind dieser Spur beispielgebend gefolgt.
Ob Alsops künstlerisches, durch internationale Erfolge belohntes Vorbild zum Durchbruch für dirigierende Frauen beitragen kann, ist irrelevant, weil nicht primär wichtig. Hier geht es überhaupt nicht um die Anerkennung einer einzelnen Dirigierleistung, die zufällig an eine Frau gebunden ist. Es geht um Prinzipielles: dass nämlich exzellente Darstellungen von Musik von einer dirigierenden Frau verantwortet werden, was Skeptikern gegenüber weiblichen Berufserfolgen zu denken geben sollte. Herausragende Dirigentinnen sind, nicht anders als ihre männlichen Kollegen, im besten Fall durchaus befähigt, durch eigengeprägte und darüber hinaus neue Lösungen eine Berufsausübung, die allen offensteht, zu bereichern. Marin Alsop steht als Beweis.