Martin Tchiba ist ein Pianist, der die Grenzen von Komposition und Interpretation gerne im Fluss hält. +++ Regelmäßig initiiert Johannes Schwarz, langjähriges Mitglied beim Ensemble Modern, überaus spannende Musik für Kontrafagott: Kompositionen, die mit höchstem Anspruch an Technik und Ausdruck alles aus diesem Instrument herausholen. +++ Viele junge Komponist*innen hebeln seit einigen Jahren den in die Jahre gekommenen Instrumentalsound der neuen Musik bewusst aus in der Einbeziehung einer Klangästhetik, die aus der Rockmusik stammt. Mirela Ivicevic ist eine von ihnen.
Martin Tchiba ist ein Pianist, der die Grenzen von Komposition und Interpretation gerne im Fluss hält. Einerseits ist er selbst intensiv kompositorisch tätig, andererseits hegt er als Musiker eine Vorliebe für Stücke, die als offene Form die strukturelle Fantasie des Spielers herausfordern. Das Experimentallabor Gerhard Stäblers bietet hier reichlich Entfaltungsmöglichkeiten: Das aphoristische „Music Box – jerkily“ (2018) entstand für Tchibas Social Media-Klavierprojekt „Netzwellen“ und bildete als „Open Source“ das motorische Rohmaterial für diverse „ruckartige“ Variationen. Mit „Elektronische Variationen über Stäblers ‚Music Box – jerkily‘“ (2022) erreicht das dann einen Zustand völlig ausgefranster Re-Komposition. „Hart auf hart – Improvisatorisch. Kalkulativ.“ (1986) hingegen bildet mit grafischer Notation die Grundlage für ein biegsames Kalkül: Tchiba transformiert hier Barcodes in diffuse Cluster-Wolken und heftige Störaktionen, die bis ins Klavierinnere vordringen und zu guter Letzt das Notenpapier selbst zerstören. Wesentlich markanter als diese gelegentlich sehr verspielte Umsetzung tritt Stäblers „Internet“-Serie (1996) auf den Plan. Sie vernetzt Einzelklänge in extremen Lagen zu unterschiedlichsten Zusammenhängen und skulpturalen Klangphysiognomien, die Tchiba mit beeindruckender Kompromisslosigkeit auskostet. Messerscharfe Akzentuierungen und wuchtige Klangmassierungen treffen auf rätselhafte Verlautbarungen in einer Fantasiesprache. Einen kontemplativen Gegenpol zu Stäblers oft ekstatischem Klang-Aktionismus bildet Kunsu Shims Miniaturen-Zyklus „33 things“ (2007). Präzise Kleinigkeiten in spiritueller Vergeistigung, deren immer neue Akkordbildungen von Tchiba in einen entspannten Fluss gebracht werden. (emt)
Regelmäßig initiiert Johannes Schwarz, langjähriges Mitglied beim Ensemble Modern, überaus spannende Musik für Kontrafagott: Kompositionen, die mit höchstem Anspruch an Technik und Ausdruck alles aus diesem Instrument herausholen. Sie entstanden zumeist in enger Zusammenarbeit zwischen Komponist und Interpret und profitieren von Schwarz’ riesiger Datenbank an Sounds und Artikulationen. Live-Elektronische Klangmodifikationen sind darin ein zentrales Element. Vassos Nicolaous „Vertices“ (Knotenpunkte) (2010) projizieren hochvirtuose melodische Linien in akustische Räume, wo Elektronik und Instrumentalklang sich pausenlos gegenseitig triggern. Eher sphärische, schwerelose Hall-Räume mit schnarrenden Lebenszeichen des erdigen Kontraforte öffnet „Recent 1/0/0/0“ (2008). Eine hypnotische Meditation, inspiriert von den Didgeridoo-Klängen Australiens, hat Periklis Liakakis in „TraumTanzTrance“ (2007) geschaffen. Es braucht aber nicht zwangsläufig Elektronik, um die Eloquenz von Johannes Schwarz in Wallung zu bringen: Seine Interpretation von Berios „Sequenza XII“ (1997) ist eine Klasse für sich. (Orlando Records)
Viele junge Komponist*innen hebeln seit einigen Jahren den in die Jahre gekommenen Instrumentalsound der neuen Musik bewusst aus in der Einbeziehung einer Klangästhetik, die aus der Rockmusik stammt. Mirela Ivicevic ist eine von ihnen. Ihre erfrischend energiegeladenen Kompositionen, sprunghaft und unberechenbar im Ablauf genauso wie in der Wahl ihres Materials, kommen mit standesgemäßer Verstärkung und Verzerrung daher, und manchmal als gnadenlose Noise-Attacke (was sie mit Kollegen wie Stefan Prins oder Sergej Maingardt gemein hat). Im von der Komponistin mitbegründeten Black Page Orchestra hat sie das perfekte Medium für die Umsetzung dieser bemerkenswerten Energiepotentiale gefunden. Der existentielle Bezug zur außermusikalischen Lebenswelt ist ein wesentlicher Impuls für Ivicevics Kompositionen. Jederzeit können dort wie im echten Leben Gewalt und Chaos hereinbrechen. „The F SonG“ (2014/16) beginnt mit sphärischen Rauschflächen und landet in reißendem Klang-Taumel. Hyperaktive Strukturen und explosive Entladungen bestimmen auch die Geschicke von „CASE WHITE“ (2018). Mitten im lärmenden Pluralismus des scheinbar Inkommensurablen bricht dann gelegentlich das völlig Banale und Alltägliche herein. In „CASE BLACK“ (2016) kann auch mal der pure Zitat-Kitsch alles zu Ende bringen. (Kairos)