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Jazzpianisten in vorbildlichen Boxen

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus A. Woelfle
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Man kann Reissues in schlichter Aufmachung, ohne Informationen oder sonstige Extras billig auf den Markt werfen. Doch warum sollte man Tonträger kaufen, wenn sie kaum mehr als Online-Streaming bieten? Die Zukunft des physischen Tonträgers liegt in vorbildlichen Editionen wie diesen:

Heuer wäre George Duke 70 Jahre alt geworden. In seinem Schaffen floss die ganze Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts zusammen: Jazz und Pop aller Art. Die Zunahme der jazzferneren und leicht vermarktbaren Elemente in späteren Jahren verführte puristische Kunstrichter dazu, seine Bedeutung zu unterschätzen: Neben Joe Zawinul hat wohl vor allem Duke dem Synthesizer eine Seele eingehaucht, die, wie der Name schon sagt, synthetischen Sounds so vermenschlicht, dass wir sie heute (fast) als natürlich empfinden. Davon kann sich überzeugen, wer „The Era Will Prevail“ hört, eine vorbildliche Box seiner Fusion-Alben für das legendäre Schwarzwaldlabel MPS, die die LPs in der Aufmachung der MPS-Erstauflage klanglich behutsam optimiert, präsentiert. Die Alben entstanden 1971–76, in den Jahren, als er als Sideman bei Cannonball Adderley und Frank Zappa tätig war, der auch unter einem Pseudonym mitwirkt. Die frühesten Aufnahmen zeigen ihn als vom Pop und Soul-Jazz kommenden Pianisten, für den Keyboards und das Experimentieren mit Klängen bereits eine Selbstverständlichkeit sind. Im Verlauf der „Ära“ führt seine Virtuosität im Umgang mit dem Arp-Synthesizer und herkömmlichen Keyboards zu einer immer größeren Klangpalette, die mit stilistischer Vielfalt (Rock, Latin, Funk, Soul) Hand in Hand geht. Gegen Ende der Ära beginnt schon sein softer R&B-Gesang, diese instrumentale Meisterschaft in den Hintergrund zu drängen. (MPS)

Jutta Hipp, Deutschlands Antwort auf Lennie Tristano, repräsentierte in den 50er-Jahren wie nur Wenige die europäische Version des amerikanischen Cool Jazz auf Höchstniveau. Die erste bedeutende Jazzpianistin Deutschlands wagte die Übersiedelung in die USA, wo sich ihre Spielweise unter dem Eindruck Horace Silvers in Richtung Hardbop entwickelte. Ihre Karriere kam nach relativ kurzer Zeit zum Erlahmen; allerdings war sie in den folgenden Jahrzehnten neben ihrem Brotjob als Fabrikarbeiterin als bildende Künstlerin tätig. „The Life and Art of Jutta Hipp“ bietet nicht nur auf sechs CDs fast alle ihre Aufnahmen, sondern in einem zweisprachigen Buch (Deutsch/Englisch) in LP-Format eine ausführliche Biographie, Gedichte, Gemälde und Zeichnungen auf Kunstdruckpapier. Wir verdanken das Werk der Saxophonistin Ilona Haberkamp, die Hipp in New York besuchte und dem Jazzhistoriker Gerhard Evertz. Eine kenntnisreich und liebevoll gestaltete editorische Großtat! (Be! Jazz Records)

Wie nur wenige Pianisten, besaß Erroll Garner die Gabe, ansteckende Lebensfreude zu verbreiten. Tempomäßig schienen sich seine beiden Hände nach dem Bibelmotto „Laß deine Linke nicht wissen, was deine rechte tut“ zu richten, und doch swingte es unwiderstehlich. Zu seinem Rubato-Spiel kamen oft verschrobene Einleitungen, die sich ins Niemandsland zu bewegen schienen und das Erraten des folgenden Standards fast unmöglich machten. Trotz mittelmäßiger Aufnahmequalität hört man diese Spielweise seit 60 Jahren am liebsten in einem Konzertmitschnitt von 1955, als er in Carmel mit Eddie Calhoun (b) und Denzil Best (d) eine Atmosphäre knisternder Elektrizität schuf. Nun liegt dieses berühmte Konzert endlich vollständig vor. „The Complete Concert By The Sea“ erklingt  auf den beiden ersten CDs; eine dritte ergänzt die klassische Kurzfassung mit Musikerinterviews. Die Edition präsentiert sich mit lesenswerten Texten in einer Verpackung, die sich wie ein gotischer Flügelaltar bildreich aufklappen lässt. (Sony)

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