Es tut sich wieder einiges auf dem Chanson-Liedermacher-Markt, in den letzten Monaten ist eine Fülle neuer Aufnahmen in die Redaktion geschneit, die es auch im Sommer aufzuarbeiten gilt. Eine bunte Mischung erwartet die Liebhaber sinn- und unsinniger Texte und unterwürfiger Melodien.
Den Anfang machen nicht ganz so aktuelle – jedoch zeitlose – Aufnahmen: der Schauspieler, Kabarettist und Sänger Dominique Horwitz interpretiert seit Jahren nicht nur Brecht-Weill-Songs, sondern tritt auch mit den Chansons von Jacques Brel auf. Horwitz, Sohn jüdischer Eltern, die vor dem Holocaust nach Frankreich geflohen sind, ist in Paris geboren und aufgewachsen, seine Zweisprachigkeit, aber auch eine ungeheure Ausdruckskraft, machen es ihm leicht, die berühmten Lieder des Belgiers in der französischen Originalsprache zu interpretieren. 1997 hatte Horwitz‘ erster Brel-Abend in Hamburg Premiere: „Weil ich ihn geliebt habe, seit ich denken kann. Und weil ich niemanden kenne, der nicht von seinen Liedern berührt ist.“ Fünf Jahre und 300 Konzerte später trat er zusammen mit einem Fünf-Mann-Orchester (Efim Jourist, Knopfakkordeon; Christopher Israel, Klavier; Erich Gramshammer, Midi-Gitarre; Johannes Huth, Kontrabass, und Dirk Achim Dhonau, Schlagzeug) an mehreren Abenden im Düsseldorfer Savoy Theater auf. Und ohne Pomp und großes Trara gelingt es Horwitz und seinen exzellenten Musikern den großen Brel wiederauferstehen zu lassen. Von „Les Flamandes“ über „Mathilde“ bis zum berühmtesten und oft gecoverten Brel-Song „Ne me quitte pas“ ist repertoiremäßig auch alles versammelt, was das Herz begehrt. Der WDR hat die Konzerte damals mitgeschnitten, auf einer Doppel-CD sind sie nun neu bearbeitet und zusammengestellt, ein Erlebnis …
Eine schöne Idee verwirklichte Mercury-Universal anlässlich des 70. Geburtstages eines der größten deutschen Liedermachers aller Zeiten – oder heute würde er wahrscheinlich eher als „Singer-Songwriter“ Furore machen: Hannes Wader. Ein „Salut“ schicken ihm zu seinem Ehrentag viele, die sich bereits einen Namen in der neuen deutschen Sangeskultur und Popgeschichte gemacht habe oder auf dem Weg dazu sind. Die bezaubernde Anna Depenbusch rotzt frech „Nach Hamburg“ ins Mikro, der blutjunge Poppoet Max Prosa – bereits mit dem frühen Bob Dylan verglichen und seit dem Frühjahr 2012 mit eigenen Liedern in den Charts und auf Tournee – interpretiert nur mit sich selbst an der Gitarre „Das Lied vom kleinen Mädchen“, „Dota und die Stadtpiraten“ verstehen es, das romantische Liebeslied „Im Garten“ neu zu beleben und damit ans Herz zu gehen, und Johannes Strate, Mitbegründer der Band Revolverheld, ist „Unterwegs nach Süden“. Philipp Poisel, Singer-Songwriter aus Stuttgart, zupft und singt verträumt den Titel-Klassiker „Heute hier, morgen dort“ … Nicht nur für Wader-Fans, für alle, die neue gute deutsche Popheldinnen und -helden kennen lernen wollen – oder umgekehrt – Hannes noch gar nicht kennen, sehr empfehlenswert. Übrigens ist der rüstige Herr auch 2012 auf Tournee und hat selbst im August eine neue CD veröffentlich: „Nah dran“: etwas altersmelancholisch, aber keineswegs -müde besingt er immer noch die Frauen, die Freundschaft – und den Tod … Und weil wir schon beim Genre 70er-Jahre Liedermacher und Wader-Weggefährten sind, noch ein Buchtipp: Konstantin Weckers gesammelte Gedichte unter dem Titel „Jeder Augenblick ist ewig“ sind im Juni bei dtv erschienen.
Es geht weiter Richtung Westen, wo „Ritter-Rost“-Komponist Felix Janosa gerade am elften Band des erfolgreichsten deutschen Kindermusicals feilte. Zwei Songs wurden mit Judith Holofernes von „Wir sind Helden“ aufgenommen, die die Titelfigur „Zauberfee“ spielt. Doch vorher hat Janosa, der zehn Jahre als Kabarettist durch die Lande tourte, ein eigenes Soloalbum mit dem Titel „In der Hitfabrik“ veröffentlicht. Ein Konzeptalbum, „ein runder Songzyklus mit viel Jazz und Beatles und einer Prise Joni Mitchell“ (Janosa) soll es sein, ein Rückblick auf 20 Jahre Leben im und mit dem Musikbusiness und als Produzent im Tonstudio. In 13 Liedern schlägt er den Bogen vom abgebrühten Hitschreiber, der sich jeden Tag freut, sich unter Pseudonym durch alle Genres schreiben zu können („Das ist so scharf, dass ich hier wirklich sitzen darf, und immer nur die Charts im Blick – in der Hitfabrik“) über das Talent, das sich mit Minirollen und -jobs durchschlägt und die Hoffnung auf den Durchbruch nicht aufgibt („500 Prozent“), dem frisch geborenen Casting-Star, der nur für Tage oder Wochen einer bleibt, bis hin zum Plattenboss, der seinem ehemaligen Star einen verkaufsfördernden Selbstmord empfiehlt. Musikalische Zitate spicken die perfekt arrangierten und gespielten Kabinettstückchen, in denen alle musikalischen Genregrenzen – wie auch in jedem Ritter Rost – aufgebrochen werden. (Schmuse-)Sänger Janosa am Klavier, renommierte Musiker wie der Jazzdrummer Jonas Burgwinkel, „Erdmöbel“-Posaunist Henning Beckmann oder Westernhagen-Gitarristen Markus Wienstroer machen’s möglich. Trotzdem bleibt die ganze Produktion – vielleicht wegen ihrer handwerklichen und tonalen Perfektion – seltsam blutleer und glatt. Meine Empfehlung: Janosa live hören oder den neuen „Ritter Rost“ kaufen …
Gar nicht perfekt, aber erfrischend und originell ist dagegen die „Scheibe Eins“ der bayerischen Band „Zwirbeldirn“, die Volksliedgut und Eigenkompositionen darauf versammeln, bei denen das Zuhören einfach Spaß macht. Anspieltipp: „Wurst & Poesie“ – ein Couplet über das Mädchen Yvonne, das zerrissen zwischen ihrem Metzgersberuf und ihrer Liebe zur Kunst auch schon mal Krautwickerl aus vorlauten Verehrern macht.
Wir bleiben im Süden: der große Kurt Tucholsky hatte seinerzeit ja seine Hauskomponisten wie Friedrich Hollaender, Rudolph Nelson oder Hanns Eisler. Der Regensburger Komponist Florian Heigenhauser vertont in seinem „Tucholsky-Songbook“ dagegen klassische Texte wie „Augen in der Großstadt“, „Aus“ oder „Deutsches Lied“ ganz neu und mithilfe eines interessanten und eleganten Genremixes zwischen Jazz, Neuer Musik, Pop und Blues. So wirft er ein überraschend neues Licht auf die Wortlandschaften des genialen Sprachkünstlers, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Musikalisch unterstützt wird der Pianist und Klarinettist dabei von den „Räten +“: Veronika Gassner (voc), Johannes König (cell), Ingrid Meier (dr/mall) und Franz Adam (git/b).
Zu guter Letzt ein Tipp für alle Fans des leider 2011 verstorbenen Georg Kreisler. Der in Graz lebende „industrielle Unterhaltungskünstler“ Jörg-Martin Willnauer hat eine neue CD mit Eigenkompositionen und Neuinterpretationen von Chansons und Volks-/Wiener Liedern herausgebracht. Auf „Erdäpfel & Glühbirnen“ findet man so wortspielerische Titel wie „Was verbindet alle Ösis“, „Guter Mord“, „Schwein sein“ oder „Schatzi-Mausi“, das 48 Kosenamen zum Swingen bringt. Ganz so schwarz und wortgewandt wie sein Vorbild klingt der Pianist, Kabarettist und Sänger noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden … Die zu spartanische Aufmachung der Produktion (es gibt kein Booklet, keine Texte) wird leider aber nicht zum Kaufen anregen.
Diskografie
- Dominique Horwitz: best of live. Jacques Brel, Goldbek Rekords/Indigo 24188
- Heute hier, morgen dort – Salut an Hannes Wader, Mercury/Universal 06025 2799601
- Hannes Wader: Nah dran, Mercury/Universal 060253701887
- Felix Janosa: In der Hitfabrik, Fuego/Timezone 2261
- Zwirbeldirn: Scheibe Eins, Trikont US-0426
- Florian Heigenhauser & Die Räte +: Das Tucholsky-Songbook. Live & mehr, 16,99 Euro bei florian.heigenhauser [at] t-online.de (florian[dot]heigenhauser[at]t-online[dot]de)
- Jörg-Martin Willnauer: Erdäpfel & Glühbirnen, Academy of Jörg-Martin In The Fields 03, Vertrieb und Kontakt: willnauer [at] willnauer.at (willnauer[at]willnauer[dot]at)