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Karriere- Schüler

Untertitel
CDs des Ostbottnischen Kammerorchesters
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C.P.E. Bach, J. Haydn: Cellokonzerte. Marko Ylönen, Cello. Finlandia 4509-96869-2 Sibelius: Werke für Streichorchester. Finlandia 4509-98995-2 Folk into Classic; mit verschiedenen Werken von Nordgren, Grieg, Lutoslawski, Eller, Tsintsadse. Ondine ODE 766-2 Ostrobothnian Chamber Orchestra; u.a. mit Grieg „Aus Holbergs Zeiten“. Caprice CAP 21443 Einojuhani Rautavaara: Werke für Streichorchester Vol. I und II. Ondine ODE 821-2 und ODE 836-2 Nordgren: Symphony for Strings, Hate-Love, Transe-Choral. Ondine ODE 737-2 Eliasson: Symphony No. 1, Ostacoli, Desert Point u.a. Caprice CAP 21381 und CAP 21422 Vasks: Stimmen (und Werke von Balakauskas und Narbutaite). Finlandia 4509-97892-2 Vasks: Cantabile (und Werke von Tüür, Juozapaitis, Kutavicius, Rekasius). Finlandia 4509-97893-2 Karin Rehnqvist: Kast, Taromirs Tid (und Vokalkompositionen). Phono Suecia PSCD 85. Vielleicht muß sich Außerordentliches so ereignen: 1972 ging der finnische Geiger Juha Kangas, zugleich liebender Förderer der heimischen Volksmusik, weg von der Metropole Helsinki und gründete im Städtchen Kokkala an der dortigen Musikfachschule (wo Kangas als Lehrer angestellt war) ein Schülerorchester. Man musizierte so begeistert und begeisternd, daß man zusammenblieb. 17 Jahre später erlangten die Musiker einen professionellen Status. Längst war ihr emphatischer Klang, ihr beherztes Musizieren zu einem Geheimtip in den nordischen Ländern geworden. Komponisten kamen, darunter zum Beispiel Pehr Henrik Nordgren, um für das Streicherensemble neue Musik zu schreiben, renommierte Solisten suchten den Kontakt zum Klangkörper, um mit ihm Zeitgenössisches, ältere Musik oder auch Volksmusiktranskriptionen einzustudieren. Ungestört konnte man, wie vielleicht einst Haydn in Esterhazy, aus dem Inneren heraus wachsen. Die Frage nach amateurhaftem oder professionellem Musizieren stellte sich - zumindest als trennende - nicht. Und das so Gewachsene entfaltete ungeahnte Blüten. Das Ostbottnische Kammerorchester unter Juha Kangas ist ein markantes Beispiel für die rasante musikalische Entwicklung, die derzeit die Ostsee-Anrainerstaaten - sowohl kompositorisch als auch interpretatorisch - erleben. Inzwischen liegt eine stattliche Anzahl von Einspielungen auf verschiedenen Labels vor. Schwerpunkte des Ensembles werden kenntlich. Sie liegen selbstverständlich im nordosteuropäischen Raum und - ebenso selbstverständlich - im zeitgenössischen Schaffen. Einzig eine CD mit Cellokonzerten von C.P.E. Bach und Joseph Haydn gibt Platz, das feinnervige Spiel im gleichsam fremden Metier zu erproben. Hier ist also noch viel Platz zur Entfaltung. Freilich wird man auch konstatieren, daß vor allem die Originalklang-Ensembles vielleicht einen kühneren Zugang zu Kompositionen dieser Art haben. Weithin konkurrenzlos aber bewegt sich das Orchester im baltischen Raum. Verpflichtung war natürlich die Einspielung der Kompositionen für Streichorchester von Jean Sibelius, darunter zwei Arbeiten, die die Sprechstimme einbeziehen (Erstveröffentlichungen). Freilich erweisen sich diese häufig elegisch flächigen Kompositionen als eher peripher im Schaffen des Vaters der finnischen Musik. Weit mehr Gelegenheit, um die enorme interpretatorische Flexibilität, Präzision und den Nuancenreichtum unter Beweis zu stellen, bietet hingegen Edvard Griegs Suite „Aus Holbergs Zeiten“. So kühn die Grenzbereiche dieses scheinbar harmlosen Werks auslotend, das in harmonische Grauzonen abtaucht und dann wieder Luft über genau differenzierte Strichtechniken gewinnt, ist das Stück wohl noch nie gespielt worden - wunderbar allein schon das pointierte und extrem genaue Pizzikatospiel des Ensembles! Jeweils zwei CDs sind Kompositionen von Einojuhani Rautavaara, Peteris Vasks (hier jeweils kombiniert mit anderen baltischen Komponisten) und Anders Eliasson gewidmet. Die Streicherstücke „Desert Point“ (1981) und „Ostacoli“ (1987) zählen dabei wohl zu den kompromißlosesten Arbeiten des Schweden Eliasson. Sie bewegen sich gleichsam immer am Rand extremer Innenspannung und durchpulster Rhythmik. Dies freilich ist kennzeichnend für viele Kompositionen aus diesem Raum, in dem sich gegenwärtig ein zeitgenössischer musikalischer National- oder besser Regionalstil auszubilden scheint. Er ist durch flächige Strukturen, scharfe Reibeklänge, ostinaten, bisweilen motorischen Puls und deutliche Grundtonbezogenheit gekennzeichnet. Die Nähe zu nordischer Volksmusik, insbesondere zu ihren vokalen wie instrumentalen farblichen Verschärfungen, wird nie verleugnet, dadurch erlangt die Musik bei all ihren Härten einen ganz unmittelbaren Zugang. Zeitgenössisch bedeutet nicht Elitarismus, sondern das Weiterdenken einer spezifisch in diesem Raum ausgeprägten Klangerfahrung. Besonders profiliert - und dies durchaus auch in Zusammenarbeit mit dem Ostbottnischen Kammerorchester - haben sich auf dieser Basis Komponisten wie Vasks, Tüür, Rautavaara oder Nordgren. Juha Kangas versteht sich als ihr Anwalt. Denn nur wenn diese Musik mit Emphase und der Natürlichkeit eines parallelen Klangverständnisses vorgetragen wird, vermag sie sich in ihrer ganzen elementaren Kraft und Wärme und individuellen Prägung zu entfalten. Daß man aber auch für extremere Strukturen offen ist, belegt darüber hinaus eine sehr interessante CD mit Musik der Schwedin Karin Rehnqvist, die unter anderem bei Brian Ferneyhough studierte. Es ist eine höchst beachtliche Sammlung, die bislang mit dem Ostbottnischen Kammerorchester unter Juha Kangas entstand. Alles ist spannend und bis unter die Haarspitzen motiviert musiziert. Das ehemalige Schülerorchester hat es schon jetzt zu einem Spitzenensemble gebracht, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. In bezug auf die Emphase des Musizierens, auf die Spontaneität und souveräne Lockerheit könnte so manches Orchester oder Ensemble hier in die Schule gehen. Nicht zuletzt ist es ein Trost, daß heute solche Entwicklungen noch möglich sind. Reinhard Schulz CD-Angaben

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