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Klänge aus dem stilistischen Niemandsland

Untertitel
Neue Musik auf neuen CDs · Vorgestellt von Max Nyffeler
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Musik von Luc Ferrari, Ruedi Häusermann, Edison Denisov, Ali Gorji, Joachim Heintz, Samir Odeh-Tamimi, Charlotte Seither, Marcela Pavia und Max E. Keller

 

Vom 2005 verstorbenen Luc Ferrari, dem herausragend kreativen Kopf der Musique concrète und Schöpfer der von ihm so genannt „anekdotischen“, auf momenthafte Lebenssituationen bezogenen Musik, spielt Elmar Schrammel eine bunt zusammengewürfelte Sammlung kurzer und kürzester Klavierstücke: Verschlüsselte Miniaturen, oft nur ein paar Takte lang, die mit ihrem lapidaren Gestus an Satie erinnern, aber auch die renitente „Antisonate“, eine frühes Werk von 1953. In der „Collection de petites pièces“ (1984/85) sind Klavier- und Tonbandklang, teils mit Sprachbestandteilen und Naturgeräuschen, eng miteinander verzahnt – zwei ästhetische Ebenen, die sich unverbunden gegenüberstehen und doch fruchtbar kommentieren. Die inspirierende Wiederbegegnung mit einem bedeutenden Komponisten. (Wergo 6737 2)

Leicht schrullig und humorig wirken sie im ersten Moment, doch beim weiteren Zuhören erweisen sich die „Wetterminiaturen“ für vier präparierte Klaviere von Ruedi Häusermann zunehmend als Klangfantasien der mehr abgründigen Art. Hinter der Fassade von kuriosen Titelworten verbergen sich sperrige musikalische Einfälle, die gerade durch ihre scheinbare Unlogik scharf umrissene, charakteristische Klanggestalten erzeugen. Der „wilde“ Mix von normalen und denaturierten Klavierklängen siedelt sie vollends im stilistischen Niemandsland an, wo primitiv und raffiniert umstandslos zusammenfallen. Die Musik eines Außenseiters, der über den Jazz und das Theater zum Komponieren kam. (col legno WWE 1CD 20402)

„Two“ heißt die neue CD von Margit Kern mit Stücken für Akkordeon und Elektronik, wobei das Titelwort so etwas wie der gemeinsame Nenner für die komplexen Überlegungen ist, die der Komposition und Auswahl der Werke zugrunde lagen. In den Werken von Edison Denisov, Ali Gorji, Joachim Heintz, Samir Odeh-Tamimi und Charlotte Seither teilt sich viel Atmosphärisches mit, die Übergänge zwischen Instrumentalklang und Elektronik sind fließend und oft kaum wahrnehmbar. Als stärkste Klammer für die sehr unterschiedlichen Werke erweist sich jedoch die gestaltende Kraft der Interpretin. (dreyer gaido CD 21055, www.dreyer-gaido.de)

Ein reizvolles Doppelporträt von Marcela Pavia und Max E. Keller lässt bei aller Verschiedenheit ihrer Schreibweisen einige Ähnlichkeiten aufscheinen, zumal die Stücke teilweise von den gleichen Interpreten gespielt­ werden. Ein Hang zur Abstraktion, zur rhythmischen Widerborstigkeit und harten Konturierung der musikalischen Verläufe ist Beiden gemeinsam, wobei die Argentinierin etwas spontaner operiert als der eher intellektuell gesteuerte Schweizer. Beide lassen auch einen Hang zum Fantastischen durchschimmern – sie mit dynamischer Aufladung, er mit ausgesuchten Klangfarben und Raumwirkungen, wie etwa im Orchesterstück „tenuto, battuto, fulminante“. (NEOS 11121)

Die sechs Stücke für Besetzungen von Kammermusik bis Orchester, die auf der Porträt-CD von Charlotte Seither versammelt sind, sind das Resultat einer lebhaften, durch Reflexion aber stets kontrollierten Fantasie. Während die beiden Klavierlieder auf etwas vordergründige Weise Innerlichkeit signalisieren beziehungsweise Textinhalte abbilden, wartet das Kernstück der CD, das beinahe halbstündige Orchesterwerk „Essay on Shadow and Truth“, mit einem bilderreichen Klangstrom auf, in dem sich die Materialzustände kontinuierlich wandeln. In den Kommentaren präsentiert sich die Komponistin als wortgewandte Exegetin ihrer selbst. Ihre Werke sind jedoch mehr als Diskurs-Musik für Fachleute, wie sich im klanglich originellen Ensemblestück „Living Gardens“ zeigt. (edition zeitklang ez-45043) 

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