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Komm Frühling, komm

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Neuveröffentlichungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Im Fokus: Franz Ferdinand, Chris Carrabba, Brian Fallon, Olli Schulz und Selig.

Noch im letzten Jahr und daher redaktionell nicht mehr zu verarbeiten beziehungsweise zu verorten sind Selig und ihr nächstes Album „Kashmir Karma“. Und: Wieder ist es ein Selig-Album, das nicht glatt geschliffen oder platt produziert daherkommt, sondern all die Ruppigkeiten des Lebens, all die Verstörtheiten der Musik unaufgeregt auf den Punkt bringt. Eindeutig geradeaus. Immer nach vorne. Ohne Airbag oder Bremse. Dennoch gibt es die Momente des Innehaltens. Textlich vor allem. Auf den ersten Blick immer leicht verstörend, plewkaesk, wenn man Jan Plewkas Texte und seinen Gesang rhetorisch stilisieren möchte. Doch dahinter hat Plewka wie immer unnachahmlich wunderbar das Leben getarnt. Die Erfolge, die Misserfolge. Die Höhen, die Tiefen. Aus dem Hintergrund schiebt ein Tornado aus Schlagzeug, Gitarren und Bässen unaufhaltsam nach vorne und macht „Kashmir Karma“ zu einem Rockalbum, das man insbesondere in diesem Land der ausgelutschten Riffs und Texte nur noch sehr selten hört. Anspieltipps: Wintertag, Allex ist nix, Lass los (Sony).

Olli Schulz mal ohne Jan Böhmermann. Mit neuem Album „Scheiß Leben, gut erzählt“. Musikalisch ein fast neuer Olli Schulz. Mit Streichern und Disko-ähnlichen Klängen, vielleicht nicht mehr ganz so pop-rockig, aber deswegen nicht unhörenswerter. Sperrig sagt man ja oft so unbeholfen, wenn Songs wie Ganz große Freiheit oder Ambivalent nicht sofort den Anker im Musik­hirn werfen. Trotzdem gibt es genug Material für alle Schulz-Fans, das nicht nur die Komplexität des Schulz’schen Universums zeigt, sondern das dankenswerter Weise viele komplexe Sachverhalte textlich relativ einfach und musikalisch blümerant abbildet. Anspieltipps: Wölfe, Junge Frau sucht, Sportboot (Trocadero).

Brian Fallon, mitunter auch als Mittelpunkt der Rockband „The Gaslight Anthem“ aktiv, geht mit „Sleepwalkers“ eigene Wege. Zunächst. Ein Soloalbum, das das Prädikat „zeitgenössische Rock/Popmusik“ verdient. Weil es mit allen Klischees dieses Genres spielt (hymnische und laute Refrains, traurige Melodien, Reibeisenstimme mit dramatischen Effekten), aber jene Klischees nicht bis zur Peinlichkeit (siehe Nickelback oder Sunrise Avenue) ausreizt. Brian Fallon weiß genau, wann zu bremsen ist und schafft es so ein paar würdige Songs anzubieten, die es beim Independent Film Festival in eine Soundtrack- Auswahl rücken könnten. Anspieltipps: Etta James, Neptune (Island).

Als der schwammige Begriff „Emo-Rock“ noch gar nicht in den Marketing- Abteilungen bekannt war, beschäftigte sich Chris Carrabba mit seiner Band Dash­board Confessional bereits mit musikalisch zu verarbeitenden Lebensnarben und Liebeswunden. Leider in Europa meist unbeachtet oder teils unerkannt, in den Staaten dagegen schon mit größeren Erfolgen. „Crooked Shadows“ ist nun seit vielen Jahren einmal wieder ein neues Studioalbum. Nicht ganz knüpfen Dashboard Confessional an alte musikalische Narben an, aber über weite Strecken. Faszinierend: Chris Carrabbas Gesang. Traurig, laut und treffend. Dominierend: Gitarren, Gitarren, Gitarren. Begleitend: Dramen, Höhepunkte, Gräben und Hallelujas. Insgesamt versuchen Dashboard Confessional ein klein wenig modern zu klingen, aber unehrlich ist das nicht. Fazit: Größter Geheimtipp der Musikgeschichte. Anspieltipps: Heart Beat Here, We fight, Belong (Fueled by Ramen).

Franz Ferdinand, die Meister der überzeugenden musikalischen Gleichgültigkeit melden sich mit „Always Ascending“ zurück. Nun, böse formuliert, haben sie sich auf den ersten Hördurchgang wenig Mühe gemacht. Allzu schnell verfällt man dem Verdacht, das hätte man alles schon einmal gehört, bei all den tausenden Britpopindiebands der letzten zehn Jahre. Aber. Vorsicht. Franz Ferdinand sind große Könner. Deutlich wird das bei Songs wie Feel the love go, Paper Cages oder Lazy Boy. Aufreizend und betont lässig plätschern die Songs dahin, kommen aber mit ganz feinen Melodien und ziemlich aufdringlichen Rhythmen daher. Und das können eben nicht alle. Nämlich schleichende Ohrwürmer produzieren, die weit ab jeglicher Belanglosigkeit leben. So gesehen: Anspruchsvolles Album, aber eben kein Mainstream. Anspieltipps: siehe oben (Domino Recording). 

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