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Leise Sensationen, zwitschernde Vögel

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Neue Musik auf neuen CDs – vorgestellt von Max Nyffeler
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Neue Musik von Maurice Ohana, Heitor Villa-Lobos, Ross Edwards, Richard Heller, Dusan Bogdanovic, Jonathan Harvey, Kaija Saariaho, Harald Muenz, Iannis Xenakis, Vladimir Tarnopolski und Klaus Huber

In frei atmender Bewegung entfalten sich die drei Nocturnes von Enjott Schneider, die der CD des Gitarristen Stefan Barcsay den Titel gegeben haben. Der ruhige, die großen Bögen betonende Gestus des Spiels, der hier vorherrscht, verleiht auch den anderen Stücken Gesicht und Profil: den in sich kreisenden „Mysterious Habitats“ von Dusan Bogdanovic, den beiden Impromptus von Richard Heller, den rhapsodischen „Blackwattle Caprices“ von Ross Edwards mit ihren schön ausgeformten Melodiebögen und den makellos eindringlich musizierten fünf Préludes von Heitor Villa-Lobos. Eine CD der leisen Sensationen für besinnliche Stunden. (raccanto RC014)

Was Messiaen noch durch minutiöse Transkription in seinen Notizbüchern festhielt, die Gesänge der Vögel, lässt Jonathan Harvey in seinem „Bird Concerto with Pianosong“ in beinahe natürlichem Urzustand erklingen. Nur beinahe: Denn die Vogelstimmen, mit denen das Klavier dialogisiert und die mit farbigen Ensembleklängen verschmelzen, werden elektronisch gestreckt und transformiert. Daraus ergibt sich ein halbstündiges Klangtheater der spannendsten Art. Ergänzt wird das Vogelkonzert durch drei Solostücke für Oboe, Trompete und Cello mit Live-Elektronik, die das prall-lebendige Musizieren auf rein instrumentaler Ebene fortführen. (NMC D177)

Das aus angehenden Berufsmusikern bestehende Ensemble Boswil, das jeden Herbst im Künstlerhaus Boswil eine Probenwoche durchführt und anschließend auf Schweizer Tournee geht, präsentiert einen Querschnitt durch seine Arbeit aus den Jahren 2006 bis 2010. Mit den Dirigenten Peter Hirsch, Beat Furrer, Tsung Yeh und Pierre-Alain Monot sind fünf Werke zu hören, darunter das selten gespielte „ST/10-1,080262“ von Xenakis, der halbstündige Brocken „Kassandra“ von Vladimir Tarnopolski und Klaus Hubers Klavierkonzert „Intarsi“ mit dem aus Georgien stammenden Sergei Kiselev als Solist. Die anspruchsvollen Stücke spielen die jungen Musiker mühelos und absolut sicher. Ein Education-Projekt, das sich gewaschen hat. (Bezug: kuenstlerhausboswil.ch)

Der 1992 verstorbene Maurice Ohana, Franzose marokkanisch-andalusischer Abstammung, bezog die Inspiration für sein weit gefächertes Werk ganz selbstverständlich aus der mediterranen Mischkultur, lange bevor das in der europäischen Avantgarde thematisiert wurde. Auch seine zwölf „Etudes d’Interprétation“ für Klavier, gespielt von Prodromos Symeonidis, verraten diese Wurzeln. Hochentwickelter Klangsinn, kleingliedrige Motivik und zupackende Rhythmen verbinden sich zu einer Musik, die zwischen impressionistischen Feinheiten und Archaik oszilliert. In den letzten beiden der 1981–85 entstandenen Etüden öffnen sich durch die Kombination mit Schlagzeug magisch-rituelle Dimensionen. (Telos TLS 091)

In einer Viererbox legt Kaija Saariaho die beeindruckende Summe ihres orchestralen Schaffens vor. Vierzehn Werke sind in chronologischer Folge versammelt, eingeschlossen konzertante Stücke mit Gesang und Soloinstrumenten. Das älteste, „Lichtbogen“, stammt von 1986, das jüngste, „Mirage“, von 2007. Auch wenn Machart und inhaltliche Bezüge unterschiedlich sind, sich die Musiksprache in den zwei Jahrzehnten deutlich weiterentwickelt hat und harmonisch-flächiger geworden ist, so haben sie alle doch etwas gemeinsam: eine unverwechselbare lyrische Atmosphäre, hervorgerufen durch Intensität und zugleich Zartheit des Klangs. Eine Musik des langen Atems, die weite Räume öffnet. (Ondine ODE 1113-2Q)

In seinen vom Ensemble Mosaik gespielten Instrumentalstücken arbeitet Harald Muenz mit vorgefertigten Ordnungen, die er einmal spielerisch, einmal konstruktiv unterläuft, womit der Verlauf in unsichere Bahnen gelenkt wird. Ausgehend von konkreten Anknüpfungspunkten von Stockhausen bis zu Weihnachtsliedern ergeben sich eigentümliche semantische Interferenzen, die indes den abstrakten Gestus der Stücke nicht beeinträchtigen. Die Werkideen erschließen sich nur bedingt über das Ohr, der Griff zum informativen Booklet wird deshalb empfohlen. (Coviello 61117)  

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