„Carmen“-Ouvertüre im dunklen Orchestergraben: Die Kamera nimmt den Dirigenten ins Visier, die Pultlampen tauchen ihn von unten in hellen Glanz – eine Lichtgestalt wird suggeriert, die den Klang aus diesem umgekehrten Heiligenschein heraufbefördert. Kaum anzunehmen, dass diese Einstellung zufällig entstand. Eher darf man vermuten, dass Karajan damit den Beginn einer neuen Ära in der fernsehtauglichen Klassik-Vermarktung sehr bewusst auf seine Person fokussierte, gab er doch in dieser frühen Opernproduktion der 1966 von Leo Kirch gegründeten Unitel nicht nur den Ton an, sondern führte auch Regie.
Dass er dabei keine so virtuose Hand hatte wie bei der Selbstinszenierung, ist dieser, nun mit anderen Unitel-Schätzen bei der Deutschen Grammophon erschienenen „Carmen“ anzumerken, die – bis ins Dirigat stets fremdenverkehrstauglich – eher einer Karikatur ihrer selbst gleicht. Schließt man die Augen und lauscht dem Gesang Grace Bumbrys, Mirella Frenis, vor allem aber Jon Vickers’ in jeder Phase glaubhaft-brüchigem Don José, ersteht aber doch ein Stück Musiktheater, vor dem inneren Auge.
Dieser großartige Tenor, der als echter Vokalinterpret auf selbstherrliches Gebrüll verzichten kann, ist auch das Ereignis in des Maestros ebenfalls ziemlich trostlos-pompöser „Otello“-Verfilmung. Die von der Micaëla zur Desdemona gereifte Mirella Freni, der eindimensionale, aber rollendeckende Jago Peter Glossops und José van Dam als Luxusbesetzung für den Lodovico sind als Partner auf Augenhöhe. Mit mehr visueller Einbildungskraft nahm Jean-Pierre Ponnelle die neue Herausforderung an, wagte im „Figaro“ gar, die Rezitative nicht im sonst üblichen (und nie wirklich befriedigenden) Playback, sondern live im Filmstudio aufzunehmen. Hermann Prey offenbart hier einige Schwächen, auch mit Fischer-Dieskaus besser gespieltem als gesungenem Almaviva freundet man sich nicht so recht an (von Böhms altväterlichem Dirigat ganz zu schweigen), dafür umso mehr mit Maria Ewings Cherubino und der Susanna Mirella Frenis, die einmal mehr die Vielfalt ihrer stimmlichen und stilistischen Möglichkeiten unter Beweis stellt. Die Cio-Cio-San ist allerdings keine ihrer stärksten Partien, auch trübt Ponnelles Kitsch-nahes Pathos den Eindruck seiner „Butterfly“-Version, den Placido Domingo als Kaugummi kauender Yankee und Christa Ludwig als Suzuki zumindest vokal machen. Im Rossini’schen Barbier schließlich geht Ponnelles Einfallsreichtum, seine Genauigkeit in der Personenführung eine glückliche Verbindung mit der durchweg erstklassigen Besetzung und Abbados inspiriert- akribischem Dirigat ein.
Das Glanzstück dieser insgesamt neun Opern umfassenden ersten Staffel an Neuveröffentlichungen ist aber zweifelsohne Harry Kupfers maßstabsetzende „Holländer“-Inszenierung aus Bayreuth, die – wie die anderen Titel in guter, wenn auch nicht überragender Bild- und Tonqualität – nun wieder zur Besichtigung frei gegeben ist. Sein ganz auf Sentas Innenwelt fokussiertes Konzept ist nach wie vor von bestechender Konsequenz und Eindringlichkeit, das Sängerteam lässt sich von der szenischen Intensität spürbar anstecken.
Ein weiterer Meilenstein in Kupfers Musiktheaterverständnis, Glucks „Orfeo“, ist in der Londoner Übernahme der berühmt gewordenen Berliner Produktion bei Arthaus zu erleben. Als wenig fernsehkompatibel erweist sich allerdings die düstere Beleuchtung, was Jochen Kowalski in seiner Paraderolle erst recht zur Lichtgestalt werden lässt, aus eigener Kraft.
Was im veritablen Opernfilm aktuell möglich ist, stellen zwei Produktionen faszinierend unter Beweis, die unterschiedlicher freilich kaum sein könnten. Entgeht Christian Chaudet in seiner optisch überwältigenden (und von der großen Natalie Dessay schlicht atemberaubend gesungenen) „Rossignol“-Bebilderung nicht immer der Gefahr, die Musik hinter der Brillanz von Computeranimationen verschwinden zu lassen, so genügen Katie Mitchell in „The Turn of the Screw“ sparsame Mittel, um mit Brittens vielleicht stärkster Oper ein Maximum an Beklemmung zu erzeugen. Die erstklassige musikalische Umsetzung, die nie zum Soundtrack verkommt, tut ein Übriges, diese BBC-Produktion zu einer exemplarischen zu machen.
Erschienen bei DG/Universal:
Verdi: Otello (Karajan); Vickers, Freni, Glossop; Berliner Philh., Karajan
Bizet: Carmen (Karajan); Bumbry, Vickers, Freni, Diaz; Wiener Philh., Karajan
Mozart: Le nozze di Figaro (Ponnelle); Prey, Freni, Fischer-Dieskau, Te Kanawa; Wiener Philh., Böhm (2 DVDs)
Rossini: Il Barbiere di Siviglia (Ponnelle); Prey, Berganza, Alva; Scala Orch., Abbado
Puccini: Madama Butterfly (Ponnelle); Freni, Domingo, Ludwig; Wiener Philh., Karajan
Wagner: Der Fliegende Holländer (Kupfer); Estes, Balslev, Salminen; Orch. Bayreuther Festspiele, Nelsson
Andere Labels:
Gluck: Orfeo ed Euridice (Kupfer); Kowalski; Covent Garden Orch., Haenchen; Arthaus
Strawinsky: Le Rossignol (Chaudet); Dessay, McLaughlin, Schagidullin; Orch. Opéra National de Paris, Conlon; Virgin
Britten: The Turn of the Screw (Mitchell); Padmore, Milne, Montague; City of London Sinfonia, Hickox; BBC Opus Arte (Naxos)