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Märchenhafte Zeitreisen nach Dresden

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Die neue „Edition Staatskapelle Dresden“ bei Hänssler: Der MDR veröffentlicht Schätze aus seinem Archiv
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Der Plattenmarkt wird zurzeit mit einer Fülle von historischen Aufnahmen überschwemmt. Nicht alle sind eine Bereicherung für die CD-Sammlung. Bei der „Edition Staatskapelle Dresden“, einer Koproduktion zwischen dem Mitteldeutschen Rundfunk und Profil Edition Günther Hänssler, gibt es manches zu entdecken. Und die eine oder andere Wiederentdeckung von der Elbe hat sogar das Zeug zur Referenzaufnahme.
Kurz vor den Sommerferien stand das Dresdner Opernhaus wieder einmal im Zeichen einer großen Schallplattenaufnahme. Der ganze dritte Akt von Richard Wagners „Meistersingern“, wie ihn die Dresdner Aufführungen bieten, mit Professor Böhm am Pult, mit unserer Staatskapelle, unserem Opernchor, unserem Solistenensemble und zwei namhaften Gästen wurde als dauerndes Denkmal Dresdner Opernkultur auf 15 Elektrolaschallplatten aufgenommen.“ (Dresdner Nachrichten 12.10.1938) Man braucht heute Gott sei dank kein Grammophon mehr und muss auch nicht 15-mal die Schallplatte wechseln, um sich diese Aufnahme von Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ anzuhören. Dank einer Kooperation zwischen Mitteldeutschem Rundfunk, der Profil Edition Günther Hänssler und der Sächsischen Staatskapelle Dresden liegt dieser Mitschnitt mittlerweile auch auf CD vor.

Für die Hörgewohnheiten von 1938 muss die vorliegende Aufnahme der „Meistersinger“ sensationell geklungen haben. In einer Rezension aus dem Erscheinungsjahr liest man: „Wir können nur mit Freude feststellen, dass die Aufnahmen ganz wirklichkeitsgetreu gelungen sind. Die Technik auf diesem Gebiet hat sich ja auch ungemein vervollkommnet, und bei den Dresdner Aufnahmen sind die letzten Errungenschaften dieser Art zur Verwendung gekommen. So kann man, wenn man sich nun die neuen „Meistersinger“-Platten auf einem Apparat vorspielen lässt, bei geschlossenen Augen wirklich glauben, man säße in einer Dresdner Aufführung des Werkes, und zwar in einer märchenhaft guten.“ Die ausgezeichnete digitale Bearbeitungstechnik von heute lässt die legendäre Akustik der alten Semperoper wieder auferstehen. Schon bei den ersten sonoren Streichertönen des Vorspiels wirft man sämtliche Vorurteile über historische Aufnahmen über Bord. Denn die aufgearbeitete Version steht jüngeren Aufnahmen abgesehen von einem dezenten Rauschen klanglich in erstaunlich wenigen Punkten nach. In manchem Aspekt wäre man sogar beinahe versucht, das Gegenteil zu behaupten. Denn die Aufnahme mit einem Röhrenmikrophon hat einen warmen, aber dennoch klaren Raumklang erzeugt, der sich angenehm von dem zum Teil recht steril wirkenden Klangideal der heutigen Zeit abhebt.

Was diese CD aber vor allem so hörenswert macht, ist die hervorragende Besetzung. Torsten Ralf und Margarete Teschemacher – das Sängerpaar, das nur wenige Wochen später, am 15.10.1938, in den Hauptrollen der Uraufführung von Richard Strauss’ „Daphne“ einen stürmischen Erfolg feiern sollten – hört man hier als Stolzing und Eva. Weitere große Namen wie Hans Hermann Nissen (Hans Sachs) und Eugen Fuchs (Beckmesser) garantieren höchstes Niveau, das sich bis zu den kleinsten Partien fortsetzt. Und wenn man hört, was für ein differenziertes Spektrum an Klangfarben Karl Böhm mit der Sächsischen Staatskapelle hervorzaubert, ist das Bedauern umso größer, dass damals nur der dritte Akt aufgenommen worden ist.

„Nur“? Obwohl die Opern Richard Wagners an der Sächsischen Staatsoper eine lange Tradition haben, war auch 1938 durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass der gesamte dritte Akt der „Meistersinger von Nürnberg“ auf Schallplatte aufgenommen wurde. Denn aufgrund der komplizierten Aufnahmetechnik waren bis dato eher einzelne Arien oder Opernszenen auf dem wachsenden Schellack-Markt erschienen. Die Klangmassen der Musik Richard Wagners überhaupt aufzunehmen, machte erst die Entwicklung der Mikrophonaufnahme möglich. Trotzdem passten Ende der 30er-Jahre nur dreieinhalb bis vier Minuten Musik auf eine Seite der Schellackplatten. Magnetbänder steckten noch in den Kinderschuhen, sodass der Klang auf in speziellen Wärmeschränken temperierten Wachsplatten aufgenommen wurde. Die Einspielung des gesamten dritten Aktes der „Meistersinger“ war also eine echte Sensation. 90 Reichsmark kostete damals die 15 Platten starke Ausgabe, die in drei weinroten Sonderalben veröffentlicht wurde.

Eine echte Entdeckung ist auch die zweite Opernaufnahme der „Edition Staatskapelle Dresden“, ein Mitschnitt der Oper „Rusalka“ aus dem Jahr 1948. Auch hier spürt man wieder, dass sich die Sänger, die Musiker der Staatskapelle und der Dirigent Jospeh Keilberth in den zahlreichen Vorstellungen, die der Aufnahme vorausgingen, aufeinander eingespielt haben. Und wie bei der „Meistersinger“-Aufnahme ist auch hier die Textverständlichkeit makellos, das Ensemble mit der legendären Elfride Trötschel in der Titelpartie, dem jungen Gottlob Frick (Wassermann), dem tenoral strahlenden Helmut Schindler als Prinz bis hin zu den Elfen absolut erstklassig besetzt.

Dass die Aufnahme auf Deutsch gesungen wird und nicht auf Tschechisch mag für manchen CD-Interessenten sogar ein Bonus sein. Diese beiden historischen Opernaufnahmen sind aber nur ein Baustein einer größeren Serie, die die Kooperationspartner MDR, Profil Edition Hänssler und Staatskapelle auf den Markt bringen. Eine Mischung aus aktuellen Mitschnitten und älteren Aufnahmen soll eine breite Klientel ansprechen: Freunde der Staatskapelle ebenso wie Sammler historischer Aufnahmen oder Musikinteressierte mit Vorliebe für einen bestimmten Dirigenten.

Für die Sächsische Staatskapelle gibt es neben der Präsenz auf dem Tonträgermarkt noch weitere gute Gründe für diese Zusammenarbeit. Der betreuende Dramaturg Tobias Niederschlag erläutert: „Es geht darum, die gesamten Rundfunkmitschnitte der Staatskapelle erstmals zu dokumentieren. Einige dieser Aufnahmen kursieren auch als Grau- oder Schwarzpressung in verschiedenen Ländern. Da es ist wichtig, dass sie nun auch ganz offiziell in einer professionell überarbeiteten Fassung auf den Markt kommen, in der wir klanglich das bestmögliche Ergebnis präsentieren.“

Gestartet wurde die Serie mit einer aktuelleren Aufnahme von Edward Elgars erster Sinfonie mit Colin Davis am Pult der Dresdner. Schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung krönte die europäische Musikzeitschrift „pizzicato“ die CD mit ihrem „Supersonic Award“ als „Platte des Monats Februar 2006“. Auch für die später erschienenen Einspielungen unter Colin Davis ernteten Macher und Interpreten höchstes Lob. So kürte zum Beispiel das international verlegte Gramophone Magazine in seiner Juni-Ausgabe zwei CDs der Reihe („Vol. 4: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sinfonien 3 & 5“ und „Vol. 5: Jean Sibelius, Sinfonie Nr. 2“) mit der hochkarätigen Auszeichnung „Critic’s Choice“.

Was die „Edition Staatskapelle Dresden“ außerdem auszeichnet, ist eine feinfühlige Auswahl des Repertoires. „Kassenschlager“ wie die Violinkonzerte von Tschaikowsky und Mozart sind die Ausnahme (obwohl auch diese Aufnahme mit David Oistrach und Franz Konwitschny am Pult überaus hörenswert ist!). Es sind eher Werke am Rande des Kernrepertoires, die im Mittelpunkt der Edition stehen. Und wichtige Zeitzeugnisse, wie der Mitschnitt der deutschen Erstaufführung von Dmitrij Schostakowitschs 4. Sinfonie am 26. Februar 1963 durch die Staatskapelle Dresden unter Kyrill Kondraschin. Mit dem eigenen, besonderen Klang der Dresdner Staatskapelle als verbindendem Element, mit hochkarätigen Solisten und Dirigen-ten ist diese Reihe eine echte Bereicherung für jede CD-Sammlung.

Die Aufnahmetradition der Sächsischen Staatskapelle reicht übrigens bis Mitte der 20er-Jahre zurück. Das macht neugierig auf die Fortsetzung der CD-Edition. Auf der Agenda der nächsten Jahre stehen Projekte wie der Mitschnitt von Beethovens C-Dur Messe anlässlich des 25-jährigen Kapelljubiläums von Colin Davis (2006). Die Aufnahme von Hector Berlioz‘ „Te Deum“ aus der Dresdner Kreuzkirche von 1998, ebenfalls mit Colin Davis am Pult. Oder eine Einspielung von Leoš Janáceks „Katja Kabanova“ aus dem Jahr 1949.

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