Freilich freut man sich, wenn man die Debüt-CD eines jungen Musikers hört, dem man Talent attestieren kann. Hat man je einen größeren Wirbel um Bireli Lagrene gemacht, denn als er 13 war? Je jünger, desto faszinierender? Man kann auch eine andere Geschichte erzählen. Der Gitarrist John Collins war 68 als er 1982 sein erstes Album als Leader einspielte. Ich kann mich noch an die Verwunderung der Fachleute darüber erinnern, dass ein so befähigter Musiker, der immerhin einst bei Nat King Cole gewirkt hatte, so spät in seinem Leben diesen Schritt unternahm. Und nun erlebt man das staunenswerte Debüt eines 75-jährigen und wundert sich, wie all die Jahre so ein Riesentalent geheim geblieben ist.
Der Kanadier Ron Halldorson ist keineswegs ein Unbekannter. Er hat ein Jahrzehnt lang mit dem Insider-Kult-Gitarristen Lennie Breau musiziert und vor einem halben Jahrhundert mit ihm zwei Alben aufgenommen. Der allerdings überredete Ron, ihn auf dem Bass zu begleiten. So kommt es, dass viele Ron Halldorson außerhalb Kanadas, falls überhaupt, als Bassisten kennen. Für seine CD „Happy Talk“ hat er sich selbst einen feinen Bassisten, Julian Bradford, ausgesucht und zeigt, dass er selbst ein Weltklasse-Gitarrist ist. Doch macht er dies auf eine so unprätenziöse Weise, dass es von Mut zeugt und von Selbstbewusstheit jemandes, der niemandem etwas beweisen will: Er spielt Standards, gerade auch solche, die so abgedroschen sind, dass man kaum Besonderes erwartet und stellt nichts vordergründig Sensationelles mit ihnen an. Doch er swingt sie „geradeaus“ mit einer überlegenen Ruhe, die ihm erlaubt, jede Nuance auszukosten, mit differenziertem Anschlag, vollkommenem Timing, logischem Ideenfluss und einem sanft herausschwingenden Ton, bei dem einem warm um das Herz wird. Um mit Shakespeare zu sprechen. Reife ist alles. (Ron Halldorson)
Paulo Morello, ein mit allen Wassern gewaschener Virtuose, spielt brasilianische Musik so authentisch, dass selbst Brasilianer sich wundern, wenn sie erfahren, dass er ein Bayer namens Schmidkunz ist. Doch bekannt ist er ebenso für funkigen Bop. Die zwei Seelen in seiner Brust finden ein ideales Vehikel in „Sambop“, was nicht nur Titel eines Stückes ist, sondern schon das Konzept des Albums verrät. Hier wird das ganze Spektrum brasilianischer Genres – Choro, Samba & Co – mit Morellos rückhaltlos eingesetztem erstaunlichen Arsenal moderner Jazzgitarristik dargeboten, ohne dass der spezifische brasilianische Charakter verloren ginge. Mit von der Partie sind Eduardo „Dudu“ Penz (b), Mauro Martins (d) und Lula Galvão (g), mit dem eine klanglich reizvolle Melange zwischen diversen elektrischen und akustischen Gitarren entsteht. Souveränes Rhythmusspiel und fesselnde Solistik kommt von beiden. (in + out Records)
Da sich am 15. Juni der Todestag Wes Montgomerys zum 50. Mal jährt, sei eine 3-CD-Box empfohlen. „The Complete Montgomery Brothers Quartet Studio Sessions“ rückt die Zusammenarbeit des stilbildenden Gitarrenmagiers Wes Montgomery mit seinen Brüdern ins Zentrum. Seit je standen sie in seinem Schatten: der Bassist Monk Montgomery, der als einer der ersten Jazzmusiker mit einem elektrisch verstärkten Bass auftrat und Buddy Montgomery, der als Pianist und Vibraphonist eine echte Doppelbegabung war. Die zwei hätten eine größere Beachtung verdient und haben durch Fülle und Qualität des versammelten Materials endlich etwas Aussicht darauf. (Essential Jazz Classics)