Markantes hebt sich von nicht so Auffälligem ab. Insofern haben folgende Jazz-Novitäten mindestens ein Merkmal dieses Kriteriums. Aufnahmen von und mit: Gianni Coscia, Gianluigi Trovesi, Jasper van’t Hof, Vein, Paolo Fresu, Evelyn Huber und dem Sirius Quartet.
Im Gedenken an den italienischen Philosophen und Erzähler Umberto Eco haben sein Schulfreund Gianni Coscia am Akkordeon und der Klarinettist Gianluigi Trovesi sozusagen ein klingendes Postscriptum zum autobiografischen Roman „Die geheimnisvolle Musik (im Original: Flamme) der Königin Loana“ verfasst. Vor allem Erinnerungen an die Popularkultur der 1950er-Jahre sind präsent, aber nicht als nostalgisch-treue, sondern progressive Interpretationen von Zeitgenossen. Das Duo greift etwa den „Basin Street Blues“ wie ein Zeichen für eine neue Ära damals auf, aber auch „Im Nebel“ von Leoš Janácek, um diffuses und zugleich empathisches Gedächtnis zu charakterisieren. Dialogisch durchaus variabel in stilistischen Modi nähern sich Gianni Coscia und Gianluigi Trovesi den disparaten Erfahrungen eines jungen Mannes. (ECM)
Mit seiner eigenen Vergangenheit als europäischer Fusion-Pionier strebt auch der niederländische Pianist Jasper van’t Hof, jetzt über 70 Jahre alt, in die Zukunft. Sein B.E.Trio ist „Three Of A Kind“, integriert also die erheblich jüngeren Kompagnons Stefan Lievestro (Kontrabass und Steelguitar) und Jamie Peet (Schlagzeug) in einen Sound aus strammem Swing und aufreizenden Improvisationen. Mehr noch peilt die Band „Hot The Trot“ über ein futuristisches Cartoon-Ostinato quirligen Jazzrock an, blubbernde Bass’n’Drum Grooves unterstützen dabei ein verzwirbeltes Synthesizer-Solo mit Klavier-Overdubs. Bei solchem Temperament im Alter staunt man über die ungebremste Agilität, die Jasper van’t Hof bewahrt hat. (Jaro)
Mutatis mutandis gilt dies auch für das Trio Vein der Brüder Florian (Schlagzeug) und Michael Arbenz (Klavier) sowie Thomas Lähns (Bass) aus der Schweiz, denn dessen „Symphonic Bop“ mit der Norrbotten Big Band ist eine ambitionierte Suite des genannten Jazzstil. Dessen Signaturen werden stark verfremdet, holpernder Beat, Flöten und gedämpfte Brass-Timbres lenken die Aufmerksamkeit zu repetitiven Mustern, die sich verändern und wie in einem Mosaik zu komplexen Klang-Konstellationen fügen. Klassisches Formbewusstsein und spontane Intuition werden zur Einheit. (Challenge)
Ein Anspruch, den auch der sardische Trompeter Paolo Fresu einlöst, indem er mit dem Bandoneonisten Daniele Di Bonaventura einige der mittelalterlichen sakralen Chor-Gesänge „Altissima Luce – Laudario Di Cortona“ für Orchester plus Jazzensemble arrangiert hat. Dabei war devoter Respekt leitend. Alternierend zu den Vokalpartien leiten subtile Übergänge zu sanften Improvisationen, auch durch dezenten Folkjazz und unaufdringliche Elektro-Effekte als Resonanz auf die religiöse Sphäre. So entstehen berührende Antiphone aus überlieferter Statik und aktueller Dynamik. (Tük)
Vielleicht auch eine Methode, sich „Para un mejor mundo/For A Better World“ spirituell zu wünschen. Wie die Harfenistin Evelyn Huber und das Sirius Quartet, deren Titelsong zunächst ein Choral sein könnte und aus dieser Haltung zu swingenden Interaktionen kommt. Die bisher einzigartige Besetzung dieses Projekts konfrontiert entrückte Popjazz-Stimmungen der „Ceili“ von Fung Chern Hwei mit orientalisch berauschenden „Nilade“-Sounds oder stellt bei „Currents“ von Jeremy Harmann kontrapunktisch gefügte Streicher-Tremoli und Flageoletts reibendem Zupf-Rock gegenüber. Das markante Experiment der Saiten-Kombination ist gelungen und wie alle anderen genannten ein Plädoyer für unerschrockene Individualität. (FM/GLM)