„Gott! Welch Dunkel hier“… Die Stunde Null. Dresdner Opernszenen in ersten Rundfunkaufnahmen nach 1945 (Semperoper Edition Vol. 1). Profil Edition Günter Hänssler (3 CDs, DVD) PH10007
Es gibt CD-Editionen, bei denen die Opulenz und Informationsdichte der Textbeigaben den ketzerischen Gedanken provoziert, ob hier nicht einmal der umgekehrte Produktweg angezeigt gewesen wäre: Statt den CDs ein knapp 250-seitiges Booklet zur Seite zu stellen, hätte man ebenso gut einem veritablen Buch die drei CDs plus DVD beilegen können. Wie auch immer: Was der Mitteldeutsche Rundfunk gemeinsam mit der Dresdner Semperoper und vielen anderen Partnern hier als erste Folge der „Semperoper Edition“ bei der Profil Edition Günter Hänssler herausgebracht hat, ist ein Muster an liebevoller und kompetenter Aufarbeitung eines Archivschatzes.
Die Box lässt uns eintauchen in eine Zeit, da Musik einen anderen Stellenwert einnahm als in der aktuellen, alles zu jeder Zeit verfügbar machenden Unterhaltungsindustrie. Das heute gern benutzte Diktum von der Musik als „Lebensmittel“ war in den Dresdner Nachkriegsjahren beinahe wörtlich zu nehmen. Joseph Keilberths Erinnerung daran, wie die Dresdner Künstler den „ausgehungerten Gestalten, frierend und in Lumpen und Decken gehüllt, fiebernd vor Sehnsucht nach etwas Schönheit, nach Frieden in der Welt“ wieder Musik hätten geben können, was er als „die erschütterndsten Eindrücke“ seines Lebens bezeichnete, deckt sich mit ähnlichen Äußerungen von Sängerinnen und Sängern aus der damaligen Zeit.
All diese Dokumente, die bis heute nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren haben, sind zusammen mit klugen Essays über alle Aspekte des musiktheatralen Neuanfangs in Dresden und zahllosen farbigen Abbildungen in besagtem üppigen Booklet versammelt. Ähnlich beeindruckend ist die beigegebene, von Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ eröffnete DVD mit Archivbildern, Interviews und dem DEFA-Dokumentarfilm „Aufbruch im Osten“ von 1946. Dank der zahlreichen Inszenierungsfotos und der Erinnerungen von Christel Goltz und Joachim Herz wird auch eine der berühmtesten Produktionen dieser Zeit lebendig, die „Salome“, die 1948 „mit einer Hingabe“ (so Christel Goltz über diese Jahre) über die Bühlauer Interimsbühne ging, die in der legendären Einspielung bis heute spürbar ist. Ein Ausschnitt daraus findet sich natürlich auch auf den drei CDs, die Einspielungen von 1945 bis 1950 versammeln.
Neben den ausgezeichneten Einzelleistungen, die hier von Sängern wie Elfriede Trötschel, Hans Hopf, Lisa Otto, Kurt Böhme oder Gottlob Frick zu bewundern sind, ist es vor allem der Emsemblegeist der aus diesen Dokumenten spricht, etwa in dem von Thomas Voigt in seinem Booklet-Beitrag zu Recht hervorgehobenen Duett aus Friedrich von Flotows „Martha“, das Helena Rott und Kurt Böhme mit unvergleichlichem Charme servieren. Beeindruckend auch das sängerische und gestalterische Niveau des längeren Aida-Ausschnitts, in dem neben Christel Goltz in der Titelpartie und Helena Rott als Amneris der Tenor Bernd Aldenhoff zwischen lyrischen Mezza-voce-Passagen und kernigen dramatischen Ausbrüchen die ganze Bandbreite der Radames-Partie auslotet. Nach der Staatskapellen-Edition entsteht hier also eine weitere vorbildliche Sammlung, auf deren Fortsetzung man sich freuen darf.