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Milchwolken über Gitarrenriffs

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Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Die Foo Fighters spielen gar nicht unüberraschend auf ihrem neuen Album „Medicine at Midnight“ gnadenlosen Rock | Bei The Pretty Reckless gibt es keine Überraschungen | Immerhin seit zwei Jahrzehnten gibt es die irische wie instrumentale Formation God is an Astronaut | Weezer lassen freilich mit ihrem neuen Album „OK Human“ nicht locker | Na, was erwarten wir wohl von einem Heavy Metal Album der Band Accept | Mit seiner EP „Du warst immer dabei“ möchte der Erfurter Sänger und Songwriter Clueso der Freundschaft ein Denkmal setzen | Pianist Erol Sarp und Produzent Lukas Vogel sind seit fast zehn Jahren die Grandbrothers.

Natürlich. Die Foo Fighters spielen gar nicht unüberraschend auf ihrem neuen Album „Medicine at Midnight“ gnadenlosen Rock. Betongitarren. Schlagzeuge wie Turbinen. Dave Grohl wütet und schreit und plärrt und tobt. Das Gesamtpaket ist erneut und nach Jahrzehnten unwidersprochen stimmig. Allerdings. Es fehlen die großen Hymnen. Die wirklich großen Hymnen. Nicht immer reicht das neue Material an die alten Choräle und Epen heran. Mittendrin, wenn man glaubt, jetzt, ja jetzt setzt Grohl den niederschmetternden Refrain, dann, ja dann kommen die Foo Fighters zu etwas ganz anderem. Na gut. Funktioniert trotzdem. Lieber 100 Platten der Foo Fighters als eine Minute The Weeknd-Selbstinszenierung während der Super Bowl Halbzeit. (RCA)

Bei The Pretty Reckless gibt es keine Überraschungen. Was vorne drauf steht, kommt hinten (oder sonst wo) heraus. „Death by Rock and Roll“ gefällt mit humorlosen Rockriffs, mit klassischen Songaufbauten (Strophe, Pre Chorus und dann alle richtig laut). Die Gitarren dröhnen oft, als würde man mit voller Wucht gegen einen Schiffsanker der Kategorie „Frachter“ rennen. Und das macht in diesem Fall Spaß. Quietschende Soli, sture Schlagzeugbeats und ein Fundament, auf dem man New York bauen könnte. Für den modernen Hardrock-Fan auf jeden Fall eine Sünde wert. (Century Media)

Immerhin seit zwei Jahrzehnten gibt es die irische wie instrumentale Formation God is an Astronaut. Jetzt muss man bei „instrumental“ nicht gleich an James Last denken. Nö, geht auch anders. Nämlich rockig, missmutig (als Kompliment gedacht!), spannend und kosmisch-esoterisch. Das ergibt sich zumindest nach dem ersten Hören der Platte „Ghost Tapes #10“. Experten, von denen es zurzeit viele gibt, nennen die Musik der Iren mitunter „Post Rock“. Und so bleibt einem nichts übrig, als sich selbst in die überstrapazierte Begrifflichkeit der „Klangwelten“ dieser Band zu werfen und in ihren „atmosphärischen Spielereien“ zu baden. Cool ist „Ghost Tapes #10“ auf jeden Fall. (Napalm Records)

Weezer, die Humorbolzen der Alternative/Indie-Szene, lassen freilich mit ihrem neuen Album „OK Human“ nicht locker. Süffisante Songs und Melodien (Zwinkersmiley). Leichtfertige Arrangements, die man oft mit Werbespots für fettreduzierte Milchprodukte in Verbindung bringt (Milchwölkchen schweben durchs Bild). Das sind Weezer. Und trotzdem, es ist schön. Jedes Mal wieder. So unaufgeregt, so klar, so hintersinnig. Die Burschen mäandern nun schon etliche Jahrzehnte durch die alternative Welt. Sich sein eigenes Credo so aufrecht zu erhalten, darf man schon dufte finden. Eine Welt ohne Weezer wird nicht funktionieren. (Atlantic)

Na, was erwarten wir wohl von einem Heavy Metal Album der Band Accept, das den Titel „Too mean to die“ trägt? Richtig. Hundsgemeinen Heavy Metal, der all die „Mimimi“-Nachwuchs-Metal-Wurschtler in die Schranken weist. Eindrucksvoll flexen sich Accept durch die Songs. Keine Kompromisse, keine Zugeständnisse. Hier wird durchgezogen. Gitarren, denen die Mitten abgeknöpft wurden und deren Höhen an die Achtziger erinnern. Gute Zeiten. Weil alte Zeiten. In denen Jeansjacken mit Aufnähern das Königsgewand der Männer und Röhrenjeans das Königinnengewand der Frauen waren. Mit Accept gelingt diese Reise. Tolle Songs, von denen man auf keinen Fall überrascht werden will. Sägen sollen sie. Nur das zählt. (Nuclear Blast)

Mit seiner EP „Du warst immer dabei“ möchte der Erfurter Sänger und Songwriter Clueso der Freundschaft ein Denkmal setzen. Macht er großartig, der „Cluesen“. Freundschaft in fünf Songs erklärt, beschrieben, gelobt, erhöht, hinterfragt und für das einzig Wahre erklärt. Mann, ist dieser Clueso ein berauschender Songwriter geworden. Ein Texter der Extraklasse war Clueso schon immer und always. (Epic local)

Pianist Erol Sarp und Produzent Lukas Vogel sind seit fast zehn Jahren die Grandbrothers. Mit ihrem umgebauten Klavier, Flügel oder auch Tasteninstrument fabrizieren sie kuriose, sentimentale und fordernde Songs. Dabei bewahren sie sich stets eine Offenheit, die niemals preisgibt, in welche Richtung der Song kippen könnte. Ist das noch Pop? Niemals. Das sind andere Welten, teils vielleicht sogar Himmelsräume, die sich auf „All the Unknown“ öffnen, drehen und entwickeln. Zuhören ist bei den Grandbrothers eine Aufgabe. Mögen wir ihr gewachsen sein. (City Slang)

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