Die Phonoindustrie schlägt Furcht erregend zurück: Fast pensionierte Lehrer werden als illegale Downloader enttarnt und Azubis zu drakonischen Strafen von 8.000 Euro verurteilt während in Tschechien raubkopierte CDs für einen Euro verramscht werden.
Über diese Halbherzigkeit der Verfolgung hilft nur die soulige Best-of-Veröffentlichung von Candi Staton mit gleichem Titel hinweg. Einst 1976 mit „Young Hearts Run Free“ erfolgreich, tröstet sie mit 26 Songs im Motown-Sound über verpasste Sommerfreuden ihrer vom Alkohol zerstörten Karriere hinweg. Unterstützenswert. Kaum Soul dafür Seele bieten The Blueskins mit „World of Mouth“. Im Rotzlöffel-Stil zitieren sie Vorbilder aus Country, Blues, Rock und Beat. Rasierklingen im Hals, Stahlstifte an den Fingern und dolchstoßige Rhythmusarbeit ergeben ein braves aber anstößiges Album mit Charakter. Orthodox dagegen die Wiederveröffentlichung der LP „Lupa“ der ehemaligen NDW-Band Palais Schaumburg. Der zerstrittene Haufen mit einem umstrittenen Werk, das einst in den USA viel Anklang fand. Herzerwärmend und unverzichtbar diesen Sommer ist Toni Kater. Das Debutalbum „Gegen die Zeit“ der Berlinerin verstrahlt Glanz mit deutschen Texten und Ruhm mit pop-rockiger aber alternativ-trauriger Musik. Eine glasklare Großstadtplatte zum Loslassen. Wunderbar!
Düstere Schwaden schweben über John Frusciante (Red Hot Chili Peppers). In jedem Monat dieses Jahres hat er ein Album aufgenommen. Sechs Alben sollen demnächst erscheinen. „The Will To Death“ mit fransigen Songs, scheinbar ohne Muster aber mit rotem Faden ist das zweite 2004. Verwirrend. Auch weil Frusciante alle Instrumente einspielte und dieses paranoide Gefühl auf den Hörer überträgt. Fröhlichkeit ist sein Ding nicht. Zerstörerisch, wütend und doch so anschmiegsam. WILCO, die Mutter aller US-Indie Bands, finden sich übrigens ein paar Mal in Frusciantes Songs. Mit „A Ghost is born“ setzen sich Wilco ein Denkmal. Pianotupfer flankieren den einzig als fragil zu bezeichnenden Gesang dieser Erde, denn Jeff Tweedys Stimme ist so traurig, dass man weinen muss. Stundenlang. Gerade weil Wilco kaum unterscheiden, ob Discobeat zur Akustikgitarre passt, Country auf Rock folgt oder ausufernde Klangspielereien unmotivierte Bässe treffen, ist ihr viertes Album ähnlich spannend wie die drei zuvor. Die wirkliche Weite der amerikanischen Musik.
H-Blockx, die ex-Helden der europäischen Crossover-Szene sind mit neuer Musik, anderer Band und dem Album „No Excuses“ zurück. Kein Rap, kein Crossover, nur Rockmusik, leicht chartorientiert aber prügelhart. Der echte Hit fehlt. Gott sei Dank, denn die Welt braucht Alben, keine Ohrwürmer. Die hat auch Sivert Hoyem im Positiven nicht zu bieten. Der Sänger der norwegischen Band Madrugada schwelgt in seinem ersten Soloalbum „Ladies & Gentlemen of the Opposition“ zwischen nördlicher Folklore und Trinkladen- Blues. Manchmal imposant, weil sich seine Fähigkeiten als Songkonstrukteur feinmaschig im Song ausbreiten, dann verliert er bisweilen die Contenance und macht – was ihm nicht so steht – im zarten Alter von 25 Jahren auf erfahrenen Songwriter. Hörenswert allemal. New Found Glory sind im Vergleich zu Höyem eher als Wüstlinge einzustufen. Emo-Punk im US- Stil zwischen der Frechheit von Blink 182 und der Reife erwachsener Green Day. Melodien ohne Pathos, Musik ohne Schwierigkeitsgrad und eine Zielgruppe bis 23. Für die jugendliche Sommer-Romanze ohne Verpflichtung. Oder die Erstsemesterfeier.
In Berlin nahm der New Yorker Überraschungs-Songwriter der letzten Jahre, David Poe, sein Album „Love is Red“ auf. Eine mutige Partie zwischen Jazz, Blues, Folk, Songwriting und Epik. Begleitet von Sim Cain und John Abbey rudert das Trio im Gefühlsstrudel der Musik lebenden Musiker und zaubert zehn Songs voll Anmut und Anständigkeit ins Ohr. Als Momentaufnahme gedacht, zum Monument geeignet. The Datsuns, Anhänger des Garagensounds, scheinen mit „Outta Sight/Outta Mind“ endlich zu sich selbst gefunden zu haben. Weniger Garagensound, dafür mehr Gitarrenriffs und etwas mehr Spielhumor machen das Album zu einem guten unter der Menge der „The“-Band-Alben. Retro ohne Reue. Elektronisch sauber und für den lauen Sommerabend passend präsentieren sich Plastyc Buddha aus Antwerpen. Chill-Out-Lounge-Musik mit Liebe zum Detail und großartigen Melodien. Elektronik-Fummeleien mit Tiefgang. Selbst im Bassbereich. Sonic-Youth-Fans werden sich über das neue Album „Sonic Nurse“ glücklich sein, weil SY wieder nah an den Anfängen anno 1981 in New York City sind. Weniger Indie scheint kaum möglich. Der junge Jazzpianist Michael Kaeshammer offenbart mit „Strut“ Crooner-Qualitäten als Sänger und legt nebenbei ein perfektes Jazz Album mit Tradition und New Orleans- Touch vor. Ein Geheimtipp. Zum Höhepunkt des Sommers (19. Juli) ver-öffentlichen Colour Of Fire „Pearl Necklace“. Bemerkenswert, weil Punk, Grunge, Emo, Metal, Core und Funk in selten gehörter Ausgewogenheit zelebriert werden. Schön laut. Ausklingen sollte der Sommer melancholisch mit den Schweizern Shilf. Pop mit Folk und Traurigkeit. Aber nie Depression. „Out for Food“ meistert die Klippen des Lebens und bereitet den herbstlichen Übergang sensibel vor. Transzendent.
Diskografie
Candi Staton: Candi Staton (Capitol Records)
The Blueskins: Word of Mouth (Domino/Rough Trade)
Palais Schaumburg (Tapete Records)
Toni Kater: Gegen die Zeit (it-Sounds/BMG)
John Frusciante: The Will to Death (Wea)
Wilco: A Ghost is Born (Wea)
H-Blockx: No Excuses (X-Cell Records)
Sivert Höyem: Ladies & Gentlemen of the Opposition (Virgin)
New Found Glory: Catalyst (Universal/Motor)
David Poe: Love is Red (Ulftone Records)
The Datsuns: Outta Sight/Outta Mind (V2)
Plastyc Buddha: Our friends eclectic (Lea, Intergroove)
Sonic Youth: Sonic Nurse (Universal/Motor)
Michael Kaeshammer: Strut (Alma Records)
Colour of Fire: Pearl Necklace (PIAS)
Shilf: Out for Food (Ulftone Records)