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Mozart und wieder Bach im Swinggewand

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Mit Jacques Loussier und seinem neuen Trio
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Vor etwa einem halben Jahrhundert war es mehr als aufmüpfig, was Jacques Loussier und sein Trio mit klassischen Vorlagen anstellte, es war sogar – durchaus zu meiner Jugendfreude – so etwas wie musikalische Blasphemie: „Play Bach“ verjazzte Heiliges und Hehres des gottähnlichen Johann Sebastian.

Loussier begann damit eine Welle, die sich in vielerlei Gestalt bis heute fortsetzte, vor allem gesungen – etwa von den Swingle Singers – oder blechgeblasen: Ein Damm war gebrochen und die echten Klassikadepten entdeckten plötzlich im neuen Kleid der bekannten Ohrwürmer auch musikalisch Neues zwischen den Noten, welch ein Gewinn auch für den Hörgenuss.
Jetzt hat er sich mit Mozart versucht und auch gleich mit zwei dicken Brocken: mit den Klavierkonzerten KV 466 und KV 488, beides Schlachtrösser, die jeder Mozartfreund fast auswendig kennt. Neugierig legt man die Telarc-Silberscheibe auf und man wird nicht froh darüber: Natürlich versteht Loussier es mit seinen Mannen, der Musik einen herrlich swingenden, oft synkopierten Drive zu verleihen, und so oft er sich kunstvoll in die Gefilde des Jazz-Swings auf den Weg macht, er kehrt immer wieder brav zu dem von Wolfgang Amadé notierten Verlauf zurück. Auch vermisst man die Bläser in seinen Bearbeitungen mit reiner Streicherbegleitung nicht unbedingt. Aber trotz aller anerkennenswerten Bemühung erhält die Musik im Swinggewand eigentlich nur neue Rhythmusfarben, keine wirklich zusätzliche Klanginformation, die dieser wunderbaren Musik auf neuem Wege die Seele näher brächte. Es gibt eine Aufnahme – auch auf CD (Preiser 90021) –, in der Friedrich Gulda im Klavierkonzert KV 467 in den Tuttiteilen der Außensätze Klavierimprovisationen „à la Mozart“ einstreut und im Mittelsatz das herrliche Einfinger-Thema – seit langem in der Muzak-Welt der Backgroundberieselung von Kaufhäusern, Eisenbahnhallen und Restaurants (vor allem gehobenen Genres) zu Tode gespielt – durch gewagtes Synkopieren neu erfinden wollte, ein vergebliches Unterfangen, dem Gulda auch keinen zweiten Versuch folgen ließ.

Der inzwischen auch älter gewordene Loussier hätte daraus lernen können, dass man mit Mozart nicht ohne weiteres machen kann, was bei Bach erstaunlicherweise und bei anderen Komponisten erwartungsgemäß funktioniert: durch ein Arrangement in klassischer Swingmanier neue Sichtweisen zu erschließen. Mozarts Musik ist – wie es Gerhard Wimberger einmal treffend formulierte – in ihrem genialen Ausgleich von ratio und emotio auf eine so unbegreifliche Art vollendet, dass man mehr nicht aus ihr „herausholen“ kann.
Da legt man sich doch lieber ganz schnell Loussiers neues EuroArts-DVD-Video auf mit dem Live-Mitschnitt eines Konzerts zum 254. Todestag J.S. Bachs in der Leipziger Thomaskirche am 28. Juli 2004. Dieselbe Triomannschaft wie auf der CD widmet sich einem halben Dutzend Bach-Werken, daneben auch Modernerem wie Saties 1. „Gymnopédie“, Ravels „Bolero“, schließlich Debussys „Arabesque“ und „L‘Isle joyeuse“. Hier ist nun wieder der „alte“ Loussier zu erleben, wie wir ihn schon lange kennen, der in unverändert unnachahmlicher Weise mit einer stupenden Technik – vom fast steinern unbeweglichen, seine Miene kaum verändernden Interpreten bewegen sich nur die flinken Finger – seine klassischen Vorlagen als Grundmuster nimmt für Ausflüge in alle Richtungen des meist ganz sparsamen und schlichten, oft sehr leisen, gelegentlich aber auch wieder mächtig auftrumpfenden Swinging Jazz, wie man ihn sich mitreißender nicht vorstellen kann. Dass man den Trio-Spielern nicht nur bei ihren prächtigen Soli auf die Finger und ins Gesicht sehen kann, ist ein zusätzlicher Reiz, weil man ihnen live so nahe nicht kommt – die Kamera kann’s.

Wie Loussier in einem Bonus-Track bescheiden erzählt, war Bach schon von Kindheit an sein Idol und ist es heute noch. Die überraschenden Struktur-Parallelen der „Choruse“ im 8er-, 16er- oder 32er-Pack mancher Bach-Werke verführte ihn schnell dazu, in sparsamer Triobesetzung seinen Partnern Improvisationsräume zu öffnen, wie man sie vor allem aus den klassischen Jam Sessions der Swinggrößen kennt. Dass und wie das funktioniert, lässt sich im begeisternden Live-Mitschnitt so packend miterleben, dass man kaum mehr stillsitzen kann – die Zuhörer in der ehrwürdigen Leipziger Michaelskirche reißt es dann auch nach dem Schlussakkord zu einer anhaltenden Ovation endlich von den Sitzen.

Jacques Loussier Trio: Mozart Piano Concertos Nr. 20 (KV 466)/Nr. 23 (KV 488); Jacques Loussier (p), Benoit Dunoyer de Segonzac (b), André Arpino (dr), Anne Gravoiin (v) & String Orchestra (2005)
Telarc/in-Akustik CD 83268

Jacques Loussier Trio: Play Bach And More; Jacques Loussier (p), Benoit Dunoyer de Segonzac (b), André Arpino (dr); 98 min + 14 min Bonus
EuroArts DVD-V 2054068 Stereo/Dolby Digital 5.1

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