Wie schön, dass der unversiegbare Fluss von Rundfunkarchivalien zu den Plattenfirmen immer wieder Klangjuwelen zu Tage fördert, die überragend sind, wenn auch für den langjährigen Sammler kaum überraschend. Ihre Bedeutung steigt sogar, wenn man erkennt, dass diese Alben eigentlich eine diskographische Ergänzung darstellen sollten, deren Meilensteine zum Teil in physischer Form vergriffen sind. Es kommt so zur seltsamen Situation, dass die späteren Fundstücke im Handel die Hauptwerke ersetzen. Das fällt vor allem bei Musik aus den 70er-Jahren auf – eine Periode, die weniger von spezialisierten Reissue-Labels erfasst ist.
Als Dexter Gordon sich 1976 nach 15 Jahren in Europa wieder in den USA niederließ, wurde er wie ein heimkehrender Held gefeiert. Mit drei Jahrzehnten Verspätung wurde er zum Genie ausgerufen. In den 40er-Jahren hatte er aus Lester Youngs lyrischer Melodik und Konzentration auf das Essentielle, aus Coleman Hawkins kräftigem Sound und Sinn für Dramatik sowie aus Charlie Parkers moderner Konzeption eine Spielweise geschaffen, die man als quintessentielles Bebop-Tenorsaxophon bezeichnen kann. Als erster großer Tenorist der Moderne schuf er die Grundlagen oder zumindest Bausteine, mit denen Stan Getz, Sonny Rollins, John Coltrane und eine Reihe von Tenorsaxophonisten, die erst einmal berühmter wurden, ihre Reiche errichteten.
Was Gordon in den späten 70er Jahren spielte ist also erfüllt von Hochgefühl, zeigt ihn spielfreudig auf dem Gipfel seiner Kunst, unterscheidet sich aber nicht grundlegend vom vorherigen Schaffen. Keiner könnte behaupten, dass zu wenig Konzertmitschnitte von Dexter Gordon mit seinem regulären Trio der Jahre 1977 bis 1979 existieren, denn George Cables (p), Rufus Reid (b) und Eddie Gladden (dr) begleiteten ihn in einer Phase, die zu den glücklichsten in seinem Leben gehörten. Dabei entstanden das Columbia-Album „Manhattan Symphonie“, das Blue Note-Doppel-Album „Nights At The Keystone“ und einige Alben, auf denen die vier auf Kollegen wie Johnny Griffin, Curtis Fuller und Woody Shaw treffen. „Willisau 1978“ führt uns nun das Quartett bei einem Auftritt im „Hotel Mohren“ am 4. März vor. Die Aufnahme zeigen Gordon erwartungsgemäß als nie um ein Zitat verlegenen Büchmann der geflügelten Töne und als einen Chorusarchitekten erster Güte. Bei den fünf meist viertelstündigen Stücken verließ er sich ganz auf bewährtes Material: „The Jumpin’ Blues“ kann als Verbeugung vor „Bird“, die mit Innigkeit zelebrierte Ballade „Old Folks“ als Erinnerung an Freund Ben Webster verstanden werden.
Randy Westons „Hi-Fly“ hat er sonst nur einmal aufgenommen. Herrlich wie lässig zurückgelehnt der Vater des modernen Tenors das Thema auskostet und in weiterem Verlauf auslotet. Da er relaxt hinter dem Beat spielte, Gelassenheit über Raserei bewahrte, und sich nie dazu verleiten ließ, eine überflüssige, unbegründete Note zu spielen, brachte er ein ungewöhntes Maß an Ruhe in den Bop. Es war wichtig, dass das Trio ein Gegengewicht bildete, quirlig, quicklebendig, herausfordernd blieb und nicht etwa in die Falle tappte, langsamer zu werden. Auf dieses sprühende Trio konnte der freundliche Riese blind vertrauen. (TCB)
Wäre Zbigniew Seifert nicht bereits 1979 32-jährig verstorben, er wäre heute zweifellos einer der meistbeachteten Musiker der Gegenwart. Er war weit mehr als ein Coltrane auf der Geige, er brachte europäische Tradition und polnisches Musikantentum mit ins Spiel. Typisch für Seifert war, dass der Sound seiner Geige selbst im Jazz-Rock trotz der elektrischen Verstärkung sehr natürlich klang, wie auf „Live Recordings 1973 & 1976“ ein längeres Stück mit Größen wie Jasper van’t Hof und Philip Catherine zeigt.
Von Anfang an bestach er durch seine im klassischen Violinstudium erworbene Technik, die ihm erlaubte, im Jazz alles auszuprobieren. Da ist es ein Glücksfall, dass er 1976 mit dem experimentierfreudigen Meister des Duos aufgenommen wurde: Albert Mangelsdorff. Ein Beispiel davon erschien einst schon auf dem Mood-Album „We’ll Remember Zbiggy“. Diese vier Stücke sind wohl das ganze Material und es dürstet einem nach mehr. Wie die beiden ihre so unterschiedlichen Instrumente zu einem größeren Ganzen ergänzen (der Posaunist hatte zu diesem Zeitpunkt längst die Mehrstimmigkeit auf der Posaune entwickelt), wie die beiden sich die buntesten Bälle zuwerfen, das gleicht einem Drahtseilakt, von dem man wünscht er möge nie aufhören. Doch leider haben die zwei nie eine gemeinsame Platte gemacht. (SWR Jazzhaus)