Im Fokus vier CDs, unter anderem mit und von und durch: Pierluigi Billone, Pierluigi Billone, Lula Romero, Edition zeitgenössische Musik, Elliott Sharp.
Eine „pseudo-alte, griechisch-tragische Stimme“ verkörpere die Vokalpartie in „FACE“ (2016), verrät Pierluigi Billone, aber die „körperlich-vokalen Urgesten“, mit denen Anna Clare Hauf Billones archaisierende Fantasiesprache „kaut, verschlingt, trinkt, spuckt, erbricht oder neubaut“ sind nicht der einzige Atavismus dieser Komposition. Auch die Instrumentalschicht (Ensemble PHACE) bewegt sich – ob Verstärkerbrummen, Schlagzeug oder schnarrender Saitenklang – in einer rätselhaften Zwischenwelt aus imaginärer kultischer Handlung und pseudo-theatralischer Aktion. Interessant ist, dass Billones Suche nach verschütteten expressiven Unmittelbarkeiten und ihrer direkt erfahrbaren Körperlichkeit nie in spirituelle Stereotypen abdriftet, und in so manch krassen Duoentladungen von Saxofon und E-Gitarre haut einen das wirklich um. An diversen Stellen des Geschehens sind übrigens O-Töne der großen Zeremonienmeister der „Neuen Musik“ einmontiert, fossile Sprach-Intarsien von Lachenmann, Nono, Scelsi und Cage zum Wesen von Klang/Musik. Die kommen bei aller thematischen Relevanz dann doch als latent bildungsbürgerliche Fremdkörper daher. (Kairos)
Das Collegium Novum Zürich feiert 25-jähriges Bestehen mit hochkarätigen Uraufführungen: Vinko Globokar reflektiert in „L’Exil Nr. 2“ (2012) die ambivalenten Befindlichkeiten des Exilantendaseins als vielsprachige Collage, deren Fragmente von Homer bis zur literarischen Gegenwart reichen. Intensive Auseinandersetzungen mit mittelamerikanischen Hochkulturen haben die klanglichen Urgewalten von Martin Jaggis „Uxul“ (2018) angeregt. Auf elementare Struktur-Kontraste hebt Sascha Janko Dragicevics vielschichtiges Ensemblestück „Ausschlag“ (2016/18) ab, das konkrete, instrumentale und elektronische Klänge spannungsträchtig verknüpft: Sie konstituieren ereignisreiche Klangräume und indifferente Flächen, die von den „Rauschrädern“ des Instrumentenbauers Stefan Roszak mit „realer“ Dringlichkeit versehen werden. „Gesualdo Dub/Raum mit gelöschter Figur“ (2012) von Marko Nikodijevic hingegen entwickelt aus einer Motivzelle Gesualdos hypnotische Veränderungsprozesse, ein instrumentaler Dämmerzustand am Rande der Auflösung. (NEOS)
Die jüngsten Veröffentlichungen der „Edition zeitgenössische Musik“ tragen sichtbar der steigenden Zahl von Komponistinnen Rechnung. Eine erfreuliche Entwicklung. Aktueller Gast ist Lula Romero. Sie hat strukturell bis in hinterste Winkel ausgeklügelte, raumgreifende Kompositionen mit Live-Elektronik mitgebracht. Raumgreifend heißt hier, dass die Räume des Klingenden wirklich komplex aufgefächert und ausgelotet werden. Das funktioniert besonders eindrucksvoll bei der Raumkomposition „ins Offene“ (2012/13), die einen wuchtigen Schlagzeugpart ins Zentrum stellt und das Ensemble kreisförmig um Solist und Hörer verteilt. Dessen Bestandteile werden dann per Echtzeit-Manipulation vielschichtig und beweglich immer neu verortet und miteinander in Beziehung gesetzt. (Wergo)
Die VENI ACADEMY ist ein slowakisches Experimentierfeld, das sich intensiv der Praxis zeitgenössischer Interpretation widmet. Im Sommer 2015 war Elliott Sharp zu Gast und hat mit den studentischen Teilnehmern ein paar Stücke für größeres Ensemble aufgenommen. Sharps Affinität zu strukturellen Phänomenen und Theorien der Naturwissenschaften spiegelt sich in einer Musik, die ihre Wirkung aus Mischungen algorithmischer, improvisatorischer und konstruktiver Verfahren bezieht. „Flexagons“ (2013) webt in mehrdimensionalen Faltungen an einem Netz polyrhythmischer Schichten, das auf der graduellen Permutation kleiner Bausteine beruht. Das Ensemble wird da zu einer Art Objekt im Raum, dessen Oberflächenbeschaffenheit, Dichte und Lichtintensität unentwegt fluktuiert. Noch feiner gesponnen ist die Organik von „Dispersion of Seeds“ (2003), das in trübe schwelender Diffusität zu wuchern beginnt. Die Ambivalenz von Ordnung und Chaos prägt auch das eigens für die VENI ACADEMY konzipierte „Palimpsest“ (2015). Dort mutieren die Beteiligten (inklusive Sharp an der E-Gitarre) zu einem Kraftwerk, das gewaltige, lärmende Energien freisetzt. (mode)