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Politisch Lied, garstig Lied

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Gerne wird dieser Ort in der Musikgeschichte übersehen, diese „Geburtsstätte des neuen deutschen Chansons und des neuen deutschen politischen Liedes“, wie ihn Holger Böning, Professor der Universität Bremen, betitelt. Die Rede ist von der kleinen Burgruine Waldeck, auf den Hunsrückhöhen nahe der Mosel gelegen, die sechs Jahre lang Treffpunkt für nationale und internationale Chansonniers, Bänkel-Sänger und Barden war.

1964 zunächst als „Bauhaus der Folklore“, als „Werkstatt“ im wahrsten Sinne des Wortes geplant, mauserte sich das Festival zu einem kulturhistorischen Ereignis, zu dem mehrere Tausend Besucher anreisten und bei dem Künstler wie Franz-Josef Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Schnuckenack Reinhardt und Dieter Süverkrüp auf der Bühne standen. „Vor der Waldeck gab es eine Sehnsucht, die Waldeck selbst war das Versprechen, etwas anderes zu machen als das, was an Schlagern und Tanzmusik aus dem Radio quoll“, so Reinhard Mey in einem Interview mit der taz, den Hein & Oss und all die anderen damals unter ihre Fittiche nahmen und der nach seinem Auftritt 1964 seinen ersten Plattenvertrag unterschreiben konnte.

Zu Wort kommen all jene zwar nicht, aber zu hören sind sie auf der 10-CD-Edition, die zusammen mit dem Buch im Schuber erschienen ist. Knapp 15 Stunden Originalaufnahmen, die gesichtet, digitalisiert und nachbearbeitet werden mussten, darunter auch Interviewausschnitte und die Debatte des 68er-Festivals, bei dem die Parole „Stellt die Gitarren in die Ecke und diskutiert“ Künstler wie Zuschauer spaltete und die das Festival dann 1969 zu einer „revolutionär-politischen Diskussionswerkstatt“ werden ließ.

Michael Kleff kontaktierte die damaligen Veranstalter, machte Musiker und Waldeck-Freunde ausfindig, sammelte Bilder, Texte und Erinnerungen, um sie in diesem Werk zusammenzutragen. Und für jeden Leser ist etwas dabei: Während sich der Musikwissenschaftler wohl eher für Carsten Lindes Beitrag „Die Waldeck-Festivals als Bestandteil alternativer politischer Bewegungen und der neu entstehenden populären Musikkultur“ interessieren mag, kommen auch Zeitzeugen und Interessierte mit Lothar Sauers Erinnerungen „Als Gammler auf Waldeck – Impressionen eines Augenzeugen“, oder mit Hüschs „Burg Waldeck 67“ auf ihre Kosten.

Der Preis von 95 Euro mag zunächst etwas abschrecken, aber angesichts der Tatsache, dass sich neben den interessanten Beiträgen im Buch auf den CDs wahre, bisher unveröffentlichte Schätze finden lassen, lohnt sich die Anschaffung allemal. 

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