Mau sieht es aus im Jubelmonat Juni. Die künstlerischen Energien verpuffen mit André Heller im WM-Wahn und so muss man tief in die Kiste greifen um halbwegs vernünftige Veröffentlichungen der Phonoindustrie zusammen zu kratzen. Wohlgemerkt Platten, die über Halbzeithits hinausgehen.
Spoon Records läuft da mit einer ordentlichen Aufstellung zur Hochform auf. Wie schon angekündigt gibt es Ende Juni 2006 den dritten und letzten Block aus dem insgesamt 14 Alben umfassenden „Remastering“- Gesamtwerk von CAN. Freilich wurden die verbleibenden fünf Alben der „Remaster“- Serie in SACD Klangqualität und mit dem Original Cover-Artwork gestaltet. Ein Endspielzuckerl: Die Booklets – auch Innenheftchen genannt – erfreuen mit unveröffentlichten Fotos. Exakt handelt es sich um die Alben „Flow Motion“ (1976), „Saw Delight“ (1977), „CAN“ (1979), „Delay 1968“ (1981) und „Rite Time“ (1989). Die Hybrid-Version der SACD ist auf jedem handelsüblichen CD Player und SACD kompatiblen DVD Playern abspielbar.
Der letzte Cowboy dieser Erde sitzt mit dem Amerikaner Luke Temple im Sattel. „Hold a match for a gazoline world“ nennt er sein Werk augenzwinkernd, doch verbrennen kann man sich kaum, denn das Album glüht endlos. Temple beginnt mit Bluesgrass, hält ein beim Folk-Trog, wechselt fulminant zum Songwriter-Rock und lässt wenig Zweifel aufkommen, dass er sich im Country wohlfühlt. Elf Mal suhlt er sich in vergessenen Songs, rudert zurück in die Vergangenheit und überzieht die Steppe mit einer elegischen Stimmung. Elliott Smith oder Belle & Sebastian stehen da oft Spalier.
Die legendäre Memphis Soul Künstlerin Ann Peebles veröffentlicht nach zehn Jahren Halbzeit tatsächlich ein Album. „Brand New Classics“ bietet zwar nichts Neues, denn zu hören sind nur ihre besten Songs plus einige ihrer persönlichen Lieblingssongs (Rolling Stones, Eric Clapton, Foreigner). Doch alle Achtung, was nach wie vor in dieser Stimme liegt und steckt. Alle Songs wurden live in einem Take aufgenommen; das lass mal die Rasselbande von Tokio Hotel versuchen. Mitgewirkt haben bei den Aufnahmen übrigens die sagenhafte Hi-Rhythm-Section und die Memphis-Horn-Section. Skeewiff aus London tollen förmlich über den Rasen. „Private Funktion“ ist das dritte Album der Band, gereicht wird Musik zum Cocktail. Viel Tanz, viel Beat, viel Eleganz. Zwar wirkt das Album oft distanziert und kühl, allerdings blicken Skeewiff mit einer unverschämten Lässigkeit über den Tellerrand und bringen Soul, Dancefloor oder Funk nicht ungeschickt mit ins Spiel. Eine unverfängliche Atmosphäre wird so kreiert und warm gehalten. Dass das Album letztendlich nun eher für „in“-Kneipen oder Möchtegerne- Bars zu taugen scheint, kann man Skeewiff selbst ja nicht zum Vorwurf machen. Das Publikum bekommt, was es verdient.
Ein Geheimfavorit auf den Titel aller Titel schält sich mit der einheimischen Combo Samba aus der Lederhaut. Entsprechend weitsichtig haben sie ihr Album „Himmel für alle“ getauft. Dem kann man folgen. Fast jeder Refrain landet – reden wir mal pathetisch im Himmel. Davor gibt es präparierende Strophen, anmachende Choruse und ein Indiepoprock-Paket, das groß zu werden droht. Die Gesamtatmosphäre reicht eindeutig bis zu Kettcars letztem Werk „von spatzen und tauben, dächern und händen“. Samba knüpfen geschickt Erzählfäden, ketten ihre Songs aneinander, bleiben gelassen doch angenehm aufgekratzt. Sie reduzieren sich selbst, schieben die Aufmerksamkeit ihren Songs zu und verpassen sich so das bisher beste Album der Bandgeschichte. Weiter so.
„The American Led Zeppelin“ nannte man Cactus zu Beginn der 70er. Große Worte, die knapp 30 Jahre später nicht zwingend überprüft werden müssen, denn „V“, logischerweise das fünfte Album der Herren Carmine Appice, Tim Bogert, Jim McCarty und Rusty Day beweist, dass zumindest die grobe Richtung noch stimmt. Blues- und rifforientierter Hardrock bildet das Gerüst, eine durch Erfahrung erworbene Klasse im Songwriting tut ihr Übriges. Das Album läuft klassisch durch, hat keine Hänger, ist kurzweilig und vermittelt ungehemmte Spielfreude, die nicht in Selbstbeweihräucherung endet. Led Zeppelin wäre sicher nicht stolz. Aber angetan. Etwas un-glamouröser werkeln die Kanadier The Marble Index an ihrem Album „The Marble Index“ herum. Zwar verspricht der Bandname doch ein wenig Geheimnisvolles und eventuell sogar einen Umsturz vorhandener Musikwerte, doch diese zarte Hoffnung wird nach drei Songs als „Übersteiger“ entlarvt. Kein schnöder, aber doch unaufgeregter Britpop ist von The Marble Index zu vernehmen. Man gesellt sich zu Bands wie The Libertines, Dirty Pretty Things, The Hives, The Streets und wie sie alle heißen. Sicher fährt das Trio aus Ontario einen forschen Sound. Die Gitarren knurren, der Bass vollstreckt, doch immer wieder kommen plakative Elemente der 60er ins Spiel. Das verdünnt die Suppe, obwohl das Gesamtalbum dann schon noch als angenehm auffällt und nicht so auf dicke Hose macht wie andere 60er Epigonen.
Völlig unorthodox geht Lea Finn mit „Finnland“ in den Zweikampf. Sie fordert den Hörer quasi auf, wieder Musik zu hören. Nicht vorbei zu hören. Schnell könnte man aufgeben, weil ihre Songwritermusik zunächst nicht bleiben will. Man sucht nach popverwandten roten Fäden, findet aber keine. Und dann lässt man sich auf das Spiel ein, weil Lea Finn Spannung erzeugt und Entdeckergeist fördert. Anspruchsvoll klingt fast abweisend, doch „Finnland“ muss man sich erobern. Zwölf Perlen gilt es so zu entdecken. Sicher im Popterrain zu finden, doch keineswegs gleichgültig oder beliebig hingeschmiert. Nein, Lea Finn schlägt eine Brücke zwischen neuem Pop und altem Pop. Oft überraschend arrangiert, aber liebevoll. Ein klarer Sieger.
Diskographie
CAN – Flow Motion (Spoon Records, 23.6.2006)
CAN – Saw Delight (Spoon Records, 23.6.2006)
CAN – CAN (Spoon Records, 23.6.2006)
CAN – Delay 1968 (Spoon Records, 23.6.2006)
CAN – Rite Time (Spoon Records, 23.6.2006)
Ann Peebles – Brand New Classics (Track Record, 23.6.2006)
Skeewiff – Private Funktion (Jalapeno Records, 14.7.2006)
Samba – Himmel für alle (Tapete, 14.7.2006)
Cactus – V (Escapi Music, 28.7.2006)
The Marble Index – The Marble Index (HighCoin, 28.7.2006)
Lea Finn – Finnland (SonyBMG, 18.8.2006)