Parmegianis „Stries“ (1980) war eine der Entdeckungen beim Berliner Festival Ultraschall 2019. +++ Georges Aperghis heißt der Siemens-Preisträger 2021. Die Veröffentlichung in der „Solo“-Reihe des Klangforums Wien könnte kaum besser dazu geeignet sein, die instrumentale Theatralik Aperghis’ gleichsam in nuce zu präsentieren. +++ Enno Poppe verbindet eine inzwischen 20 Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Komponisten und „Elektroniker“ Wolfgang Heiniger. Für „Tonband“ (2008/12) haben sie auch kompositorisch ein Team gebildet.
Parmegianis „Stries“ (1980) war eine der Entdeckungen beim Berliner Festival Ultraschall 2019. Ausgegraben hatte das Stück für drei Synthesizer und Tape Sebastian Berweck, einer der besten Kenner analoger elektronischer Musik und deren Gerätschaften. Er hatte diese in Vergessenheit geratene Perle der französischen elektroakustischen Musik in Anlehnung an den Original-Sound damaliger Synthesizer rekonstruiert. Nun ist das Triptychon von Bernard Parmegiani (1927–2013) vom Synthesizer-Trio Colette Broeckaert, Martin Lorenz und Sebastian Berweck auf Tonträger gebannt, eine abenteuerliche Entdeckungsfahrt ins prä-digitale Zeitalter. In „Strilento“ agiert das Tape (transformiert aus Violinen-Aufnahmen) noch allein und akzentuiert mit flüchtigen Gesten einen geheimnisvoll surrenden Raum. Der zweite Teil „Strio“ strahlt in seiner fluoreszierenden Harmonik eine analoge Wärme aus, als hätte Wolfgang Voigts Projekt „Gas“ hier kräftig gelauscht (wenn es denn eine Aufnahme gegeben hätte). Im Dialog von Tape und Synthesizern beanspruchen die Interaktionen von „Stries“ am Ende den größten Raum, mit einer Vielzahl illustrer Klangpartikel, rhythmischer Rudimente und flächiger Drones, die einen prinzipiell ungreifbaren Klangkosmos bevölkern. (mode)
Georges Aperghis heißt der Siemens-Preisträger 2021. Die Veröffentlichung in der „Solo“-Reihe des Klangforums Wien könnte kaum besser dazu geeignet sein, die instrumentale Theatralik Aperghis’ gleichsam in nuce zu präsentieren. Auch wenn Aperghis’ fragmentarische Erzählkunst und abgründige Virtuosität in Stücken für Stimme oft besonders prägnant in Erscheinung tritt, zeigen diverse Monologe für Akkordeon, Posaune, Viola, Saxophon, Violine, Klarinette und Kontraforte den Pariser Komponisten in instrumentaler Höchstform. Manchmal vermischen sich aber auch hier das Instrumentale und das Vokale zur grotesk-dramatischen Szene wie in „Deux cents quatre-vingt mesures“ (1979) oder „Ruinen“ (1994), wo die Akteure in ihre Arbeitsgeräte singen, sprechen und schreien. Oder es klingt dann doch als würden hier mehrere Stimmen zugleich involviert sein wie im spukhaften „The Only Line“ für Solo-Violine (2009). Kaum zu betonen, dass die auf sich allein gestellten Mitglieder des Klangforum Wien hier eloquenteste Klang-Darsteller abgeben. (Kairos)
Enno Poppe verbindet eine inzwischen 20 Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Komponisten und „Elektroniker“ Wolfgang Heiniger. Er war in Poppes „Rad“ und „Rundfunk“ für die möglichst originalgetreue Simulation historischer Keyboards und Synthesizer zuständig. Für „Tonband“ (2008/12) haben sie auch kompositorisch ein Team gebildet: Zwei Schlagzeuger sorgen hier für die perkussiven Impulse live-elektronischer Interaktionen mit zwei Keyboards, in denen sich schräge retrofuturistische Melodien tummeln. Das beginnt mit düster brodelnden Trommelwirbeln und endet in undurchschaubarem Furor. Tumultartige Zustände charakterisieren auch Poppes „Feld“ für zwei Klaviere und zwei Perkussionisten (2007/2017), als hätte sich hier die Materie, einmal von der Kette gelassen, in unkontrollierbaren Wachstumsprozessen verselbständigt oder um es mit den Worten des Komponisten zu sagen: „rohes Geklimper, Requisiten von irgendwoher, keine Zitate“. Das klingt dann manchmal wie Free-Jazz und ist doch – natürlich – minutiös herbeikonstruiert. Dieser nur scheinbare Widerspruch wird in den polyrhythmischen Verstrickungen des zweiten Satzes und seiner wirr tickenden Stolper-Mechanik besonders evident, „wie eine Maschine, die kaputt geht“, hätte Ligeti in die Partitur geschrieben. Auch hier steigert sich das in einen expansiven Rausch hinein. Heinigers „Neumond“ (2018) basiert auf dem klangfarblichen Charme archaischer Elektroorgel-Sounds und gewinnt seine Bewegungsenergie aus diversen Glissandoformen. Das klingt dann manchmal nach alten Krimis oder angestaubter Science-Fiction, wo die Beteiligten auch mal selbst singen und summen. Das New Yorker Ensemble Yarn/Wire entpuppt sich auf dieser Produktion im zweifachen Doppel aus Tasteninstrumenten und Schlagzeug als explosiver Präzisionsmechanismus. (Wergo) ¢