Wie sollte eine Plattenvorstellung von Green Day anders beginnen als mit den Stichpunkten „Dookie“ und „American Idiot“? +++ Olli Schulz bringt mit „Vom Rand der Zeit“ ein unbeanspruchtes Stück Musik unter die Menschen. +++ Selbstverständlich fällt einem bei New Model Army sofort der Song „51 state“ ein. +++ Sleater-Kinney gibt es tatsächlich bereits seit fast dreißig Jahren. Leider oft unter dem Radar der breiten Masse.
Punkrock, Romantik und Mut
Wie sollte eine Plattenvorstellung von Green Day anders beginnen als mit den Stichpunkten „Dookie“ und „American Idiot“? Zwei Punkrock-Alben, die seit dreißig (Dookie) bzw. zwanzig (American Idiot) Jahren gerne als Referenzwerke des Genres herangezogen werden. Weil musikalisch geistreich und textlich auf den Punkt (von Komasaufen bis Sozialkritik). Zwischen den beiden Alben kam eher mediokeres Material, nun gibt es mit „Saviors“ ein Album, das es mit den beiden erstgenannten aufnehmen darf. Textlich und musikalisch. Produktionstechnisch ist der derbe Punkrock von einst selbstverständlich digital glattgebügelt und klingt mehr nach „rich kids“ als nach Green Day. Doch man muss mitunter loben. Für Songs wie „Dilemma“ (vernichtender Refrain), „Bobby Sox“ (wunderbar melancholisch, aber krachend), „Corvette Summer“ (Rock’n’Roll, Barbecue, Bier) oder „Father to a son“ (wunderschön kitschige selbstverliebte Punkballade mit Streichern). Selbstverständlich wird „Saviors“ nicht den Platz von „Dookie“ einnehmen können. Es ist nicht die Zeit dafür. Aber „Saviors“ ist Green Days unbestritten drittes großes Album, das künftig zu Definitionszwecken des Genres hinzugezogen werden muss. (Reprise Records)
Olli Schulz, den man sich kaum mehr als Musiker bezeichnen traut, weil er auch Podcaster, Schiffsbauer (Netflix), TV Moderator und und und ist, bringt jedenfalls mit „Vom Rand der Zeit“ ein unbeanspruchtes Stück Musik unter die Menschen. Ebenso wie man ihn beruflich nicht greifen kann (oder darf), geht das Er- oder Begreifen mit einer seiner weiteren Platten. Olli Schulz ist generell ein wahnsinnig verträumter Songschreiber, dem es gelingt, seine Songs derart einzigartig zu gestalten, dass nur er sie zum Leben erweckt. Diese Songs könnte kein Reinhard Mey singen, kein Klaus Lage oder kein Campino. Schulz’ Tonlage, irgendwo situiert zwischen Selbstironie, Augenzwinkern, menschlichem Drama und unaufgesetzter Nonchalance, macht seine Lieder (Songs wäre eine Beleidigung) zu etwas Wiedererkennbarem. Weil man sich in den Texten selbst erkennt: die verpassten Chancen, die Rettungen, aber auch die Wege der Hoffnung. Und dann ist das musikalisch eben kein Gegurke um das nächste große Dinge, sondern stets etwas, das den simplen Eindruck der Spontanität vermittelt, wobei man dennoch vermuten möchte, dass Olli Schulz für jede Note, jeden Akkord und jede Harmonie etliche innere Kämpfe verlieren oder gewinnen muss. „Vom Rand der Zeit“ – Musik, die rührt und berührt. (Vertigo Berlin)
Selbstverständlich fällt einem bei New Model Army sofort der Song „51 state“ ein. Was eine Hymne, die uns die Engländer 1986 um die Ohren knallten. Davor und danach gab es mehr als Achtungserfolge, denn der düstere Sound aus Folk, Alternative, Punk, Rock oder Garagenrock erreichte viele Fans. Leider hat man New Model Army zu oft, zu schnell und zu sehr sowie ausschließlich mit den Achtzigern in Verbindung gebracht und ein wenig verstauben lassen. „Unbroken“, das aktuelle Album, beweist hingegen eindrucksvoll, dass die Band zwar durchaus hier und da Wurzeln in den Achtzigern hat, dennoch sehr erfrischend und zeitgemäß klingt. Natürlich wäre es übertrieben, würde man behaupten New Model Army klingen fröhlich. Aber mit Songs wie „If I am still me“, „Coming or Going” oder „Deserters“ sind der Band reizvolle, verblüffende und fast hymnische Songs gelungen, die gut in diesen Zwanzigern ihren Platz finden werden. (Edel Music)
Sleater-Kinney gibt es tatsächlich bereits seit fast dreißig Jahren. Leider oft unter dem Radar der breiten Masse. Das Album „Little Rope“ ist ein weiterer Nachweis, dass das nicht sein müsste. Denn hinter dieser Art der oft besungenen Alternative Music steckt unheimlich viel Begeisterungsfähigkeit, Anstrengung und Herz. Da gibt es den Song „Say it like you mean it“, der unbarmherzig offen und elegisch daherkommt. Da gibt es „Small Finds“, ein disruptives Fragment Musik, das einige Kurven nimmt, aber präsent im Ohr bleibt. Oder „Crusader“, mit verdächtigem Discopop-Groove, aber einer brachialen Kehrtwende: weg vom Kommerz. „Little Rope“ ist kein Album, das man nebenbei hören sollte. Es benötigt Luft zum Atmen und Zeit zum Wirken. Und ein wenig Mut, seine eigene Hörhistorie zu hinterfragen. (Loma Vista Recordings)
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!