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Analog haben sich der französische Sopransaxophonist Emile Parisien und der italienische Pianist Roberto Negro vom Streichquartett Nr. 1 des ungarischen Zeitgenossen György Ligeti inspirieren lassen.
Analog haben sich der französische Sopransaxophonist Emile Parisien und der italienische Pianist Roberto Negro vom Streichquartett Nr. 1 des ungarischen Zeitgenossen György Ligeti inspirieren lassen.
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Reverenzen mit Eigenwert

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
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Das Bekenntnis zu Idolen, zu ihrer Persönlichkeit oder zu (einzelnen Titeln aus) ihrem Repertoire, ist im Jazz fast wie ein Zertifikat eigener Qualität. Was jemanden inspirierte, kann mit der Reife zur Reverenz werden, ein „Chapeau!“ aus Überzeugung.

So beim Pianisten Jens Thomas, der dem kanadischen Sänger Neil Young eine Collage aus dessen Songs widmet. Indem er in seinen Arrangements sich nicht allzu weit vom Originalstil entfernt, die Melodie (After The Gold Rush) mit virtuos figurierten Ornamenten dekoriert oder sie (Hey Hey, My My) mit perkussiv-präpariertem Piano verfremdet, entstehen emotional aufgeladene und intensive Vokal-Versionen dieser Rock-Standards. Die stets bewegliche, auch per Overdubbing vervielfachte Stimmführung lässt genügend Gelegenheiten für improvisierte Intermezzi, sodass sich genannte Genres vereinbaren können. (O-Tone Music)

Zugleich musikalische und politische Freiheit reklamieren Jazzmusiker je nach Naturell. Worauf sich Johannes Enders mit seinem „Tribute To Sonny Rollins“ explizit bezieht, nicht radikal fordernd, sondern als „Sweet Freedom“ in einer subtilen Ballade, die er durch Blues-Konnotationen mit Bassist Henning Sieverts und Schlagzeuger Jorge Rossy gestaltet. Während manche seiner Kompositionen schräg  retro-orientiert sind (Mostly Sonny) und sich swingendem Fluidum wie auch im Hardbop-Idiom von Sonny Rollins selbst (Strode Rode) fügen, elektrisieren doch auch Spannungen aus schnellen Wechseln von komplexen Rhythmen ebensolcher Phraseologie: zwei Zustände (Air & Gin) konkurrieren hier so, als ob Johannes Enders die Sax-Freiheit des Kolossus ausmisst. (Enja)

„Schattenlos“ ist ein Zyklus aus zwölf Mikrostrukturen, mit denen der Gitarrist Torsten Papenheim mit dem Quartett Tru Cargo Service ebenso viele prominente Frauen skizziert: Für Ingeborg Bachmann (Poetin) hat er Bebop-Riffs à la Charlie Parker parat, Für Susan Sonntag (Essayistin) flinken Jazzrock und für Hannah Arendt (Philosophin) frei kollernde Pixel. Unter seiner Regie können Tenorsaxophonist Alexander Beierbach, Bassist Berit Jung und Schlagzeuger Christian Marien somit sehr originelle Klang-Physiognomien entwerfen, deren Anordnung je spezielle Sounds vorstellen. (Tiger Moon Records)

Da Jazz genuin aus diversen, ja disparaten Ressourcen individuell geformt wird, sind klassische Entlehnungen wie „Regarding Beethoven“ kein Sakrileg (mehr). Doch statt die Noten etwa der Bagatellen lediglich zu verjazzen, hört Pianist Markus Becker in Zwischenräumen der Originale harmonische Nebengebiete oder genehmigt sich Digressionen. So wird die Appassionata zu einem Referenzsystem, das von Tremoli und Diskantskalen improvisatorisch gelockert, also nicht verfremdet, sondern aus Jazzperspektive neu gedeutet wird. (Berthold)

Analog haben sich der französische Sopransaxophonist Emile Parisien und der italienische Pianist Roberto Negro vom Streichquartett Nr. 1 des ungarischen Zeitgenossen György Ligeti inspirieren lassen. Sie spähen diese Kammer-Nachtmusik klassischer Moderne mit „Les Métanuits“ in doppelter Dauer nach Füllpotenzial, aus. So tendiert ein chromatischer Pas de deux im Allegro grazioso zu Cluster-Formationen oder ein mechanisch rotierendes Ostinato mutiert über ein Crescendo zu einem Folkmotiv. (ACT)

Reverenzen sind somit keine Unterwerfungen, sondern Verbeugungen vor Idolen, die darüber hinaus weisenden Eigenwert geradezu einfordern.

 

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