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Romantiker, Großmaul und Phänomen

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Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Wie immer abrupt veröffentlicht Ryan Adams mit „Romeo & Juliet“ ein Album. +++ Was wäre das Musik-Business ohne die getrennten Gallagher-Brüder? +++ Dass ein guter Rocksong nicht mehr als Gesang, Schlagzeug und Gitarre (und ab und an ein Keyboard) braucht, beweisen The Black Keys seit Jahrzehnten. +++ Nach Ende der „New Wave of British Heavy Metal“ spülte die nächste Welle unter der Rubrik „Adult Oriented Rock“ (AOR) auch die Engländer von Def Leppard an die Hardrock-Küste. Ohne Zweifel erfolgreich, aber teils mit zweifelhaften Songs. +++ Florence Welch schafft mit ihrer Band Florence + the Machine und dem Album „Dance Fever“ ein erneutes Mysterium.

Wie immer abrupt veröffentlicht Ryan Adams mit „Romeo & Juliet“ ein Album. Teil 1 einer für 2022 wohl angedachten Trilogie. Dann mal rein ins geschundene Herz. Neunzehn Songs passen auf dieses Album. Das sich tatsächlich von allen anderen Alben des New Yorker Burschen unterscheidet. Und Alben veröffentlicht Ryan Adams in einer irrsinnigen Schlagzahl. „Romeo & Juliet“ will so recht keinen Plot oder gemeinsamen Nenner finden. Klar. Irgendwie bleibt Ryan Adams in den Achtzigern verloren. Diesmal wirken die Songs jedoch sehr wild und bunt zusammengeschoben. Mal Pop, mal diskreter Country, mal Demo-Charme, mal angekratzter Rock, mal Herzschmerzballade. Dennoch. Jeder Song entpuppt sich als kleines Ryan-Adams-Juwel. Und ist wie stets in seiner Herzlich- und Bitterkeit kaum zu übersehen. Nur. Als Album oder thematisches Poesiealbum geht „Romeo & Juliet“ diesmal nicht durch. (Pax Americana)

Was wäre das Musik-Business ohne die getrennten Gallagher-Brüder? Der eine, Noel, ein talentierter Songwriter von Beatles Gnaden. Der andere das letzte Großmaul einer durchgestylten Rock’n’Roll-Welt. „C’mon You Know“ nennt Liam Gallagher sein neues Album. Nun, man darf es vorwegnehmen. Es wurde ein ordentliches Liam Gallagher-Album. Eben kein Noel Gallagher-Album. „C’mon You Know“ pendelt zwischen distinguiertem Rock (I’m free), kantigem Pop (Everything’s Electric), netten Beatles-Avancen (World’s in Need) oder alten Oasis-Zeiten (More Power). Nicht uncool, aber ein richtiger Funke mag auch nicht überspringen. Liam hat andere Talente. Wer sonst würde auf Dave Grohls Aussage, Liam Gallagher sei der letzte echte Rockstar, relativ schlicht antworten: „Korrekt, die anderen sind alle völlig nutzlos“. (Warner)

Dass ein guter Rocksong nicht mehr als Gesang, Schlagzeug und Gitarre (und ab und an ein Keyboard) braucht, beweisen The Black Keys seit Jahrzehnten. Alle anderen Instrumente sind überbewertet. „Dropout Boogie“ setzt genau dort an, wo man The Black Keys haben und hören will. Beißender, juckender und schmutziger Rock & Blues. Stets tanz- wahlweise mitnickbar, selten abgedroschen und immer mit einer gesunden Fuhre Ironie und Lebensleid. Was ihnen auch mit diesem Album wieder spielend gelingt, ist, den Songs eine Zeitlosigkeit zu verpassen. Man hätte dieses Album oder auch jedes andere des Duos auch schon vor 30 oder 40 Jahren irgendwo aufschnappen und anhören können. Und ohne Bruce Springsteen zu nahe treten zu wollen. Für uns Europäer klingen The Black Keys so, wie man sich das amerikanische Musiker-Herz vorstellt. Nicht mehr und nicht weniger. (Nonesuch Records)

Nach Ende der „New Wave of British Heavy Metal“ spülte die nächste Welle unter der Rubrik „Adult Oriented Rock“ (AOR) auch die Engländer von Def Leppard an die Hardrock-Küste. Ohne Zweifel erfolgreich, aber teils mit zweifelhaften Songs. Mit denen sich Def Leppard im Lauf der Jahrzehnte immer mehr vom früheren kantigen Hardrock zum verpönten Bügelsoundtrack bewegten. Daran ändert auch „Diamond Star Halos“, das aktuelle Album nichts. Abgehalfterte Refrain-Chöre (Kick, Fire it up), die man schon Ende der Achtziger nicht mehr ernst nehmen wollte, glatt polierte Gitarrensoli (sind das noch Gitarren oder ist das schon ein Midi-Keyboard-File?) und die bohrende Ungewissheit, ob beim Abmischen der Bass vergessen wurde. „Diamond Star Halos“ muss man selbst als Fan nicht besitzen. Das geht doch wirlich besser, oder? (Mercury Records)

Florence Welch schafft mit ihrer Band Florence + the Machine und dem Album „Dance Fever“ ein erneutes Mysterium. Vierzehn Songs. Zwischen Tränen, Triumphen, Tiefen und Tanz geschaffen. Oft so aufwühlend, dass man aufstehen und loslaufen möchte. Einfach weg (Free). Dann wieder diese Soundtracks zum Weinflaschenöffnen (Back in town, Prayer Factory). Dazwischen unheimlich viel Hoffnung, Leidenschaft und Glück, dass man den Eindruck bekommt, man könnte selbst im größten Hurrikan einfach stehen bleiben. Aber. Leicht ist das nicht. Dieses oder alle anderen Alben zu hören. Es erfordert Mut und Durchhaltevermögen, dieser Band zu folgen. Wahrscheinlich auch zu vertrauen. Denn wer gibt schon gerne zu, dass Dance, Folk und ein wenig künstlerischer Eskapismus ganz gut zusammenpassen? (Universal)

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