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Eduard Franck im Blick: Martin Lucas Staub, Angela Golubeva und Sébastien Singer vom Schweizer Klaviertrio. Foto: Arens
Eduard Franck im Blick: Martin Lucas Staub, Angela Golubeva und Sébastien Singer vom Schweizer Klaviertrio. Foto: Arens
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Romantische Grenzgänge zwischen Konzert und Salon

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Übersehene Kleinode der Klaviertrioliteratur in neuen Aufnahmen
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Der Kanon des romantischen Standardrepertoires für Klaviertrio umfasst kaum zwanzig Werke aus dem deutschsprachigen und slawischen Raum; alternativ werden hier noch einmal so viele arg vernachlässigte Trios vorgestellt, die in letzter Zeit auf CD erschienen sind.

Die Gattung Klaviertrio entstand nicht etwa aus der barocken Trio­sonate, in der das Tasteninstrument Basso-continuo-Funktion übernimmt, sondern aus der begleiteten Klaviersonate. Beim unvorstellbar fleißigen Joseph Haydn etwa, von dem 43 Gattungsbeiträge stammen, können Geige und Cello bisweilen „ad libitum“ fortgelassen werden. So entstanden frühe Klaviertrios nicht selten im Bestreben eines Klavier spielenden Komponisten, sich selbst im kleinen Rahmen in den Mittelpunkt zu rücken, dabei auch den Dialog mit Musizierpartnern suchend. Aber bereits Beethoven strebte in seinen zehn ausgewachsenen Beiträgen eine Gleichberechtigung der drei Instrumente an, ohne auf eine Zurschaustellung seiner pianistischen Fähigkeiten ganz zu verzichten. Die Gattung verhielt sich bis in die letzten Ausläufer der (Spät-)Romantik als „Grenzgänger zwischen Hausmusik, Salon und Konzertpodium, zwischen Virtuosität und Gebrauchsmusik“ (Sebastian Bolz).

Die meisten Komponisten beschränkten sich darauf, höchstens drei Gattungsbeiträge zu liefern, bevorzugt in ihrer Jugend, seltener im Spätwerk (berühmteste Beispiele: Saint-Saëns’ op. 132 von 1910 und Faurés op. 120 von 1923; da waren sie 75 bzw. 78 Jahre alt). Eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel bildet Eduard Franck (1817–93), der noch Schüler Mendelssohns war, als er achtzehnjährig sein erstes Klaviertrio schrieb, dem noch weitere vier folgen sollten. Das Es-Dur-Trio op. 22 von 1856 – das einzige zu Lebzeiten gedruckte – findet den Komponisten dann auf voller Höhe seines immer wieder erstaunlichen Könnens. Immer noch fest in klassischem (eigentlich klassizistischem) Boden verwurzelt zeigt sich das Trio D-Dur op. 53 von 1886. Die CD mit dem Schweizer Klaviertrio ergänzt die verdienstvolle Franck-Serie bei audite um eine weitere Facette – und dies auf vorbildlichem instrumentalen und klangtechnischen Niveau.

Eduards belgischer, weit berühmterer Namensvetter César Franck (1822–90) legte als sein Opus 1 in den Fußspuren Beethovens drei Klaviertrios vor; da César zu diesem Zeitpunkt noch keine zwanzig Jahre alt war, überraschen das spürbare Selbstbewusstsein und die technische Meisterschaft des Jungkomponisten. Da allein die drei Sätze des strengen ersten (in fis-Moll!), das noch die weiteste Verbreitung genießt, über eine halbe Stunde währen, passten leider nur zwei der Trios auf die Dynamic-CD, welche dreißig Jahre alte Analog-Aufnahmen erneut verfügbar macht. Da die rumänischen Interpreten und das italienische Aufnahmeteam damals an ihre Aufgaben mit Feuereifer herangingen, dürfen wir uns vor allem über die Begegnung mit dem gar nicht flachen, sondern angenehm leichten „Trio de salon“ in B-Dur freuen.

Das einzige Klaviertrio des immer mehr in seiner wahren Bedeutung erkannten, in Prag und Paris ausgebildeten Krakauers Władysław Zelenski (1837–1921) fällt insofern aus dem in der Kammermusik üblichen Rahmen, als seine drei Sätze einem lateinischen Programm folgen: „Vivos voco! / Mortuos plango! / Fulgara frango!“ (in etwa: „Die Lebenden rufe ich zusammen, um die Toten trauere ich, den Donner zerschlage ich.“) Doch selbst wenn wir nichts von diesen Überschriften ahnten, könnten wir das leidenschaftliche, von den polnischen Musikern mit angemessenem Furor servierte Stück würdigen, in dem Klavier und Streicher, analog zu den musikalischen Themen, wie Antagonisten behandelt werden. Immerhin soll ja dem Schicksal in den Rachen gegriffen werden – aber bitte immer schön nach den Regeln der Sonatenform.

Obwohl das Genre des Klaviertrios, in dem sich im Normalfall ein brillanter Klavierpart von zwei lyrischen Streicherparts sekundiert sieht, die ganze romantische Epoche hindurch in den meisten europäischen Ländern fleißig gepflegt wurde, fällt es doch besonders schwer, einen französischen Komponisten zu entdecken, der überhaupt kein Klaviertrio geschaffen hat (außer er hätte sich ganz der Bühne verschrieben). Die Beliebtheit der Gattung nahm noch zu, als 1871 die Societé nationale de musique gegründet wurde, welche die Komposition der bis dato geringer geachteten Instrumentalmusik aktiv förderte.

Die Triokompositionen des nur als Orgelmeister in Erinnerung gebliebenen Charles-Marie Widor (1844–1937) sowie die beiden Trios des zu Lebzeiten als Sinfoniker und Opernkomponist („Jocelyn“) beliebten Benjamin Godard (1849–95) – letztere bis vor hundert Jahren sogar fest im Repertoire verankert – bieten allerdings kaum mehr als ein wenig biedere, leicht sentimentale Salonmusik. Diese gleichwohl angenehm unterhaltenden Klänge servieren die Raritäten-Spürhunde des Spitzenensembles Trio Parnassus fein perlend wie einen süffigen, da nicht zu trockenen Champagner.

Ein anderes Kaliber war da schon Fernand de La Tombelle (1854–1928), der sich neben seiner Virtuosen- und Komponistenkarriere auch als Fotograf, Maler und Schriftsteller betätigte und in seinem einzigen Trio von 1895 so etwas wie die Kreuzung aus Schumann einerseits und Saint-Saëns und Massenet andererseits unternahm. Das Ergebnis erinnert am ehesten an Fauré. Laurent Martin und seinen Streicherkollegen gelingt auf dieser CD-Premiere eine wahrhaft romantische, im dritten Satz geradezu überschwängliche Lesart dieses vielleicht nicht sonderlich eigenständigen, aber mit hohen musikalischen Qualitäten punktenden Stücks.

Der Tscheche Josef Bohuslav Foer­ster (1859–1951) fällt nicht nur zeitlich, sondern auch stilistisch zwischen Antonín Dvorák und Josef Suk. Bei Supraphon nahm man sich jetzt seiner Trios an, die immerhin vier Jahrzehnte auseinander liegen. Obschon das erste, Grieg gewidmete, zugleich die erste (gültige) Kammermusik des Vierundzwanzigjährigen war, können wir darin keinerlei Schwächen entdecken. Das nurmehr dreisätzige zweite Trio von 1894, sicher sein unmittelbar attraktivstes, überrascht mit einem Dvorák und (wiederum) Grieg würdigen melodischen Einfallsreichtum und einer außergewöhnlichen, autobiographisch begründeten Satzfolge: Das Scherzo bildet die Mittelachse, während Foerster im abschließenden Adagio versucht, den Tod seiner Schwester zu verarbeiten. Das 1922 abgeschlossene letzte Trio steht unverkennbar unter dem Eindruck der politischen Ereignisse und zählt daher zu Foersters fortschrittlichsten Schöpfungen, wenn auch unfreiwillig: Nachdem junge Männer millionenfach sinnlos auf den Schlachtfeldern verblutet sind, will einfach keine romantische Stimmung mehr aufkommen.

Enrique Granados (1867–1916), der selbst ein Opfer der Kriegshandlungen wurde, schrieb sein einziges Klaviertrio im Alter von siebenundzwanzig Jahren. Es ist noch ganz der Nationen übergreifenden Spätromantik des Fin du Siècle verpflichtet und weist nur im Scherzetto hispanisierende Elemente auf. Der Klaviervirtuose, als welcher Granados, der „spanische Grieg“, zu Lebzeiten vornehmlich bekannt war, findet hier vielleicht kein angemessenes Betätigungsfeld, aber das Trio voll eingängiger Themen lohnt sich als Kammermusik unbedingt.

Sein Landsmann Joaquín Turina (1882–1949) bezeichnete ein erst 1926 entstandenes Trio als „Nr. 1“, obwohl ihm in seiner Jugend bereits eines vorangegangen war (zwei sollten noch folgen). Hier aber setzt er seine patentierte Synthese aus den akademischen Idealen der Pariser Schola Cantorum, gewürzt mit etwas Debussy und der Folklore seiner andalusischen Heimat, fort. Der erste Satz besteht aus Präludium und Fuge, während Turina jeden Abschnitt des Variationensatzes nach einem anderen Volkstanz geformt hat; das Finale endlich kommt als klassisches Sonatenallegro daher.

Heitor Villa-Lobos (1887–1959) hat in seinen drei recht frühen Trios aus den zehner Jahren eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht: Von der noch etwas schulmäßig blassen Anknüpfung an die romantische Tradition im ersten über die Verarbeitung von Fauré, Debussy und Ragtime im zweiten (mit der „Berceuse-Barcarolle“ als Höhepunkt) bis hin zur Antwort auf Ravels Klaviertrio (1914) und Zügen „barbarischer“ Wildheit im letzten schält sich allmählich der „echte“ Villa-Lobos heraus, der erst nach einem langen inneren und äußeren Umweg über Europa ganz zu seiner brasilianischen Identität finden sollte. Dieses Trio Nr. 3 von 1918 breitet im Lauf von fast vierzig Minuten einen wahren Kosmos von Klängen und Empfindungen vor uns aus. Dabei gibt es sowohl einen Vorgeschmack auf die Virtuosität des „Rudepoêma“ als auch auf die Polystilistik des noch jungen 20. Jahrhunderts.

Schade eigentlich, dass die großen Europäer aus Villa-Lobos’ Altersgruppe wie Bartók, Prokofieff, Strawinsky, Szymanowski, Hindemith oder die Angehörigen des Schönberg-Kreises bes-tenfalls Streichtrios hinterlassen haben. Überhaupt setzt sich ab Mitte der zwanziger Jahre ungebrochen die Erfolgsgeschichte des nur für Profi-Ensembles bestimmten Streichquartetts fort, während die Produktion von Trios jäh abflaut, was nicht bloß mit einem Wandel des Zeitgeschmacks, sondern auch mit der nachlassenden Neigung zusammenhängt, im privaten Umfeld miteinander zu musizieren: Die schnelle Verbreitung und laufende technische Verbesserung der neuen Medien Schallplatte und Rundfunk konnte kaum folgenlos bleiben.

Diskografie

  • Eduard Franck: Klaviertrios E-Dur o.op., Es-Dur op. 22 & D-Dur op. 53. Schweizer Klaviertrio. Audite 97.690 (edel)
  • César Franck: Trios op. 1, Nr. 1 fis-Moll & Nr. 2 B-Dur u.a. Mariana Sirbu, Ruxandra Colan, Violinen; Mihai Dancila, Cello; Mihail Sarbu, Klavier. Dynamic DM8030 (Klassik Center Kassel)
  • Władysław Zelenski: Trio E-Dur op. 22 u.a. Les Explorateurs (Lucyna Fiedukiewicz, Violine; Łukasz Tudzierz, Cello; Joanna Ławrynowicz, Klavier). Acte Préalable AP0277 (Klassik Center Kassel)
  • Charles-Marie Widor: Trio B-Dur op. 19, Quatre Trios (1890), Soirs d‘Alsace op. 52. Trio Parnassus. MDG 303 1794-2 (Naxos)
  • Benjamin Godard: Trios g-Moll op. 32 & F-Dur op. 72, Berceuse aus „Jocelyn“. Trio Parnassus. MDG 303 1615-2
  • Fernand de La Tombelle: Trio a-Moll op. 35 u.a. Quatuor Satie, Laurent Martin, Klavier. Ligia Digital Lidi 0302235-12 (Klassik Center Kassel)
  • Josef Bohuslav Foerster: Trio Nr. 1 f-Moll op. 8, Nr. 2 B-Dur op. 38 & Nr. 3 a-Moll, op. 105. Janácek Trio. Supraphon SU 4079-2 (Note 1)
  • Enrique Granados: Trio op. 50 u.a. LOM Piano Trio. Naxos 8.572262
  • Joaquín Turina: Trio Nr. 1 op. 35 u.a. The Nash Ensemble. Hyperion CDA67889 (Note 1)
  • Heitor Villa-Lobos: Trios Nr. 1–3 (plus Enrique Fernândez: Trio Brasileiro). Damocles Trio. Claves 50-2916-17 (Klassik Center Kassel)

Notenausgaben

  • Eduard Franck: Trio E-Dur. Pfefferkorn EK 2066
  • César Franck: Trio op. 1, Nr. 1. C.F. Peters EP 3745
  • Charles-Marie Widor: Trio op. 19 Kemel LR989
  • Benjamin Godard: Berceuse. Carl Fischer Music (Encore Trio album); Trio op. 72. Durand DUR 3147
  • Enrique Granados: Trio op. 50.  Ediciones Union Musical UME 22021
  • Joaquín Turina: Trio op. 35. Salabert 11592X
  • Heitor Villa-Lobos: Max Eschig ME 6704 (Trio Nr. 1), ME 1849 (Nr. 2), ME 1893 (Nr. 3)

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