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Natalie Merchant veröffentlicht mit „Paradise Is There – the New Tigerlily Recordings“ neue Aufnahmen und Interpretationen ihres Solodebüts „Tigerlily“
Natalie Merchant veröffentlicht mit „Paradise Is There – the New Tigerlily Recordings“ neue Aufnahmen und Interpretationen ihres Solodebüts „Tigerlily“
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Ryan, Bryan und andere Heldinnen und Helden

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Neuveröffentlichungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Platten, CDs und EPs von: Revolverheld, Bryan Adams, Natalie Merchant, Jess ­Glyne und AnnenMayKantereit.

Revolverheld also nun auch. Auf MTV. „Unplugged in drei Akten“. Das Ganze als Doppel-CD. Am 9. und 10. April 2015 wurde in der Hamburger Friedrich-Ebert-Halle aufgezeichnet, Annett Louisan, Rea Garvey, Heinz Strunk, Marta Jandová, Mark Forster und Michel van Dyke kamen vorbei, spielten, lächelten, und alles war gut. Ein absolut attraktives und makelloses Doppelalbum, das nicht im Pathos ersäuft, das von einer sehr guten Band zielsicher getragen wird und das in jedem Moment diesen Funken der Band seit der ersten Platte transportiert. Harmonisch sagt man dann ja gerne, wobei das dem Anspruch dieser Band nicht gerecht wird. Die würden wohl auch Musik machen, wenn das alles nicht geklappt hätte. Mit Vertrag, Konzerten und so weiter. Vielleicht dann eher im kleinen Rahmen. Aber sie würden. Man muss jetzt nicht jeden Song feiern, weil selbst Revolverheld so kleine, verzeihliche Popballaden-Allüren haben, aber ansonsten sind das alles ordentliche Nummern, die Revolverheld verstärkt und unverstärkt draufhaben. Da lohnt sich der Wink mit dem Weihnachtszaunpfahl (Columbia).

Bryan Adams ist also vom Profifotografen-Ausflug zurückgekehrt und spielt wieder Rockmusik. Back to the roots. „Get up“ heißt die Rückkehr und nach all den Jahren seit „Reckless“ bleibt eine unumstößliche Erkenntnis: Bryan Adams ist ein großartiger, ein toller, ein wunderbarer Rockmusikschreiber, der diesmal sogar ein paar witzige Beat-Reminiszenzen einbauen kann, aber Bryan Adams bleibt ein lausiger Radioschnulzenfabrikant. Songs wie „We did it all“ müssen doch nicht sein. Das können doch die James Blunts oder wie sie alle heißen machen. Aber bitte nicht Bryan Adams. Schnulzenverbot, bitte! (Polydor)

Ryan Adams (ohne „B“) erlebt eventuell das kreativste Jahr seiner Karriere. „1989“ ist nach subjektiver Zählung das mindestens dritte Album innerhalb eines Jahres, doch es fällt bei ihm schwer, den Überblick zu behalten. Kann sein, dass einem da zwei bis drei Alben durchrutschen, wenn man nur einen Moment unaufmerksam ist. Ryan Adams erweist sich auf „1989“ abermals als – Entschuldigung – abgefucktes Genie. Da nimmt er doch relativ non-chalant Taylor Swifts Album „1989“ sehr präzise auseinander und covert es. Das ist schlicht unglaublich, was Adams aus dem Pop-Kauderwelsch seiner Landsfrau macht. Mit der er sich angeblich ganz gut verstehen soll. Die Platte rückt damit weit vom Klamauk, denn so was kann ja auch ganz schnell in die Hosen gehen. Adams interpretiert Swifts Songs in vollendeter Schwermut und Trauer, in zirkulierenden Ausbrüchen und Abgründen. Obwohl die Songs ja im seifigen Pop-Country-Glamour einer Taylor Swift geboren wurden. Eventuell spinnt Ryan Adams. Eventuell hat er nicht mehr alle Latten am Zaun. Aber jeder Songwriter wäre gern wie er. Unerklärbar und vielleicht die Qualitäten einer Taylor Swift in neues Licht rückend (Sony Music).

Natalie Merchant veröffentlicht mit „Paradise Is There – the New Tigerlily Recordings“ neue Aufnahmen und Interpretationen ihres Solodebüts „Tigerlily“ (1995, nach dem Abgang bei 10.000 Monicas). Festgehalten wurden dabei die Entwicklung und Veränderung der Songs im Lauf der Zeit und durch das Verkanten bei Livekonzerten. Ohne Zweifel interessant und spannend. Und selbstverständlich sehr hörbar (Warner).

Hochglanzpop mit einer extra Portion Bohnenwachs präsentiert Jess ­Glyne auf „I Cry When I Laugh“. Was genau an dieser Platte noch echt sein mag oder kann, bleibt wohl der Entscheidung der Käufer überlassen. Alles nett, alles prima und toll produziert. Aber Mädchen, wo bleiben Charisma, Tiefe und Anspruch? Musik als Tiefe zu begreifen ist hier Fehlanzeige, dankbar dagegen sicher das Radio. Da werden die Dancefloorjünger jubilieren (Warner).

AnnenMayKantereit. Was ein Name. Was eine Band. Was eine Stimme. Leider aber nur eine EP. Aber fünf Songs, die so sensationell irre sind, dass man „Wird schon irgendwie gehen“ einfach nur als Droge bezeichnen kann. Bitte keine Fragen zum Musikstil. Nicht greifbar. Weil scheinbar während der Songs wechselnd. Und irgendwie unstet, frech. Aber textlich. Textlich ist das sehr greifbar. So schonungslos. So Spiegel vorhaltend. So entwaffnend ehrlich. Wo bitte waren AnnenMayKantereit eigentlich früher? Mehr davon. Bitte schnell (Vertigo Berlin). 

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