Neue Musik von und mit: Osvaldo Coluccino, Isabel Mundry, Caspar Johannes Walter, Iannis Xenakis, Ex Novo Ensemble.
Die elektrische Gitarre ist schon lange kein Stiefkind der Neuen Musik mehr und hat in vielen Ensembles ihren festen Platz, dennoch sind Solostücke immer noch selten. Der italienische Gitarrist Sergio Sorrentino präsentiert in „Dream – American Music for Electric Guitar“ fast ausnahmslos Originalkompositionen, welche die üblichen Rock-Klischees kunstmusikalischer Anverwandlungen eher nicht bedienen. Der Verzerrer kommt überraschend wenig zum Einsatz in Stücken, die zwischen minimalistischem Understatement und experimentellem Anspruch schwanken. So angenehm unprätentiös Sorrentino einen deutlichen Fokus auf den strukturellen Aspekt der Musik legt, die improvisatorisch angelegten Stücke von Elliot Sharp und Christian Wolff hätten durchaus mehr Wildheit vertragen. Besonders interessant: Morton Feldmans „The Possibility of a New Work for Electric Guitar“ (1966), das Seth Josel 2015 aus der Versenkung holte. Unter ausgiebigem Gebrauch des Tremolohebels erkundet Feldman hier die ppp-Kapazitäten der E-Gitarre. (mode)
Die 15. Folge der Xenakis-Edition bei mode präsentiert zentrale Orchesterwerke unter Leitung des Xenakis-erprobten Arturo Tamayo, diesmal nicht mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Es gibt zu Beginn die seltene Gelegenheit, die Originalversion von „Metastaseis“ (1953/54) zu hören, mit umfangreicherer Streicherbesetzung als der in Donaueschingen uraufgeführte Kompromiss. Das setzt ein mit einem beeindruckenden Riesenglissandocrescendo und lässt die existentiellen Hintergründe nicht nur in den brüllenden Trompetenklängen durchblicken. In den 1960er-Jahren experimentierte Xenakis mit Aufführungspraktiken jenseits des konventionellen Konzertformats. In „Terretektorh“ (1965/66) und „Nomos Gamma“ (1967/68) sitzt das Publikum mitten im Orchester. Ein massiver Schlagzeugapparat spielt in diesen elektrisierenden Live-Mitschnitten eine tragende Rolle, in „Nomos Gamma“ entfacht die Perkussionsabteilung des Residentie Orkest The Hague wahre Erdbeben. (mode)
Nur zwei Stücke diesmal auf der aktuellen Editition Musikfabrik, aber die haben es in sich. „Fächer“ ist sie betitelt, weil sich in Stücken von Caspar Johannes Walter und Isabel Mundry aus elementaren Anfangssituationen komplexe Strukturen auffächern. Mikrotonalität ist ein wesentlicher Aspekt der Musik Walters, in „Metrische Dissonanzen“ für Schlagzeug solo und großes Ensemble (2009) hat er komplexe harmonische Verhältnisse ins Metrisch-Rhythmische übertragen. Das tönt zunächst wie Klang gewordene Erforschung musikalischer Syntax, wo Zeit stillzustehen scheint. Schließlich schlagen die verqueren Pulsationen in verschiedenen Geschwindigkeiten immer schrägere, fast hysterische Töne an. Auf der intensiven Auseinandersetzung mit alter Musik fußt der abendfüllende Zyklus „Schwankende Zeit“ (2006–09) von Isabel Mundry. Mundrys kompositorisches Weiterspinnen zweier Präludien von Louis Couperin geschieht im spannungsvollen Wechsel von sprunghaften „Eigenkompositionen“ und schillernden „Übermalungen“. Ein Ensemblezyklus von teils soghafter Intensität, wo die Musikfabrik alle expressiven Register ziehen darf. (Wergo)
Der Italiener Osvaldo Coluccino war lange Zeit als Lyriker unterwegs, bevor er sich 2003 endgültig aufs Komponieren verlegte. Die prinzipielle Ungreifbarkeit seiner Sprache hat er beibehalten. Eine auf wesentliche Klangmomente konzentrierte Musik offenbart sein „Emblema“-Zyklus (2009–15) in verschiedenen Kammermusikbesetzungen, die brüchige Klangzeichen in den Raum werfen, die aus der Stille kommen und in diese zurückkehren. Nur selten verfestigen sich augenblickshaft motivische Partikel in diesem introvertierten Schwebezustand aus Geräusch und Klang. Rätselhaftigkeit ist dieser sinnlich verführerischen Kargheit, die das Ex Novo Ensemble hier mit ganz feiner Nadel strickt, offensichtlich eingeschrieben, manchmal vielleicht zu offensichtlich. Man wird das dumme Gefühl nicht los, diese Musik schon oft gehört zu haben. (Kairos)