Der persönliche Jahresrückblick der nmz-Phonokritiker: Gesangliches. In diesem Jahr habe ich meiner Schwäche für italienische Opern von Monteverdi bis Cilea nachgegeben, und zwar bevorzugt in alten Vinylausgaben. Deshalb stellen auch meine CD-Empfehlungen den Gesang in den Mittelpunkt.
Das Mittelalter-Ensemble Tetraktys um die Sopranistin Jill Feldman hat sich mit Werken aus dem Squarcialupi-Codex (frühes 15. Jh.) beschäftigt: „O Tu Cara Scienca Mie Musica“ (EtCetera). Vom Schütz-Zeitgenossen Daniel Bollius stammt ein lateinisch gesungenes Johannes-Oratorium, aufgenommen hat es das Johann Rosenmüller Ensemble unter Arno Paduch (Christophorus). Eine Generation später schuf Samuel Capricornus Geistliche Konzerte für Sänger und Violen da Gamba, denen sich sieben Solisten und das Violenconsort Long & Away unter der Leitung von Sarah Mead widmeten (Cornetto).
In den Jahren nach 1700 komponierte Sebastián Durón eine Reihe spanischer Zarzuelas – einen Strauß Sopranarien daraus hat sich die vom Ensemble A Corte Musical unterstützte Eva Juárez für „Lágrimas, Amor…“ ausgewählt (Pan Classics), während sich ihre deutsche Kollegin Miriam Feuersinger unter dem Sammelbegriff „Herzens-Lieder“ für deutsche Barock-Kantaten von J. S. Bach, Kuhnau und Graupner entschied – wiederum begleitet vom Capricornus Consort Basel (Christophorus). Die Mezzosopranistin Blandine Staskiewicz wiederum hat sich zum Thema „Tempesta“ passende Arien aus Opern von Vivaldi und Händel herausgepickt; Les Ambassadeurs unter Alexis Kossenko sekundieren ihr dabei (Glossa).
Nach und nach erarbeitet sich der Dirigent Adam Viktora das geistliche Werk von Jan Dismas Zelenka; nun liegt von ihm mit dem Ensemble Inégal und den Prager Barocksolisten die erste Gesamtaufnahme des Motettenzyklus „Psalmi Vespertini I“ von 1725 vor (Nibiru).
Der Bariton Christian Immler und sein Pianist Georges Starobinski geben uns „Im schönen Strome“ Gelegenheit, Heine-Lieder der Zeitgenossen Schumann, Liszt und Robert Franz zu vergleichen (BIS).
Bruno Maderna schrieb noch ganz unter dem Eindruck des Kriegsendes ein ausgewachsenes Requiem, das vom MDR Rundfunkchor Leipzig, der Robert-Schumann-Philharmonie und Frank Beermann erstmals eingespielt wurde (Capriccio).
Zum Schluss drei instrumentale Wiederveröffentlichungen mit Referenzcharakter: Der Franzose Pierre Monteux dirigierte schon im November 1956 für Decca Stereofassungen von Igor Strawinskys Pétrouchka und Sacre du Printemps und 1961/64 für Philips verschiedene Werke aus der Feder Maurice Ravels; der Finne Jussi Jalas wiederum füllte in den 70er Jahren vier LPs mit Orchesterstücken von Jean Sibelius, die jetzt in einer Box mit 3 CDs neu herauskamen (alle bei Decca Eloquence).