Im wörtlichen Sinn ist Mauricio Kagel ein Komponist. Nämlich indem er außer Tönen auch Gestik, Mimik und Sprache als genuine Faktoren in seine Musik einbezieht und darüber hinaus in verschiedenen audiovisuellen Medien präsentiert. Überhaupt haben Medien in seiner ästhetischen Konzeption eigenständige Rollen. Denn für Mauricio Kagel ist schon wesentlich, „über dem Produkt das Produzierende nicht zu vergessen“ (Friedrich Schelling), deshalb selbst als Interpret und Regisseur eigener Werke aufzutreten sowie Komposition als Prozess zu thematisieren. Exemplarisch sind diese Methoden zu komponieren nun mit der „Mauricio Kagel Edition“, die zu seinem 75. Geburtstag erschienen ist, (neu) kennen zu lernen.
Mauricio Kagel wurde am 24. Dezember 1931 in Buenos Aires (Argentinien) geboren und kam 1957 mit einem DAAD-Stipendium nach Köln, wo er seitdem lebt. Dort wurde er 1969 zum Direktor des Instituts für Neue Musik an der Rheinischen Musikschule und 1974 zumProfessor für Musiktheater an der Musikhochschule ernannt. In enger Zusammenarbeit mit dem Studio für Elektronische Musik beim WDR konnte er seine Ideen entwickeln, so die „Pandorasbox“, die er für das (pneumatische) Bandoneon und (seine) Stimme öffnete, um mikrotonale Unschärfen als Klangeigenschaft zu erproben: „eine willkommene Erweiterung jener Dimension meiner Arbeiten, die eine gewisse Komik nicht verschleiert.“
Skurriler Humor ist ohnehin ein Kennzeichen für die Werke von Mauricio Kagel, das stilisiert im „Tango Aleman“ und kurios im „Bestiarium für Lockpfeifen“ durch intelligente Verfremdungen überdeutlich hervorscheint.
So wird auch das Hörspiel als Prozedur „Ein Aufnahmezustand“, bei dem alle Sonderbarkeiten dieses Genres wie Atemtechniken und Sprechübungen vor dem Mikrofon mit elektronischen Geräuschen zu einem ästhetischen Novum sui generis gemischt sind. Die Aufmerksamkeit der Hörer lenkt Mauricio Kagel gegen ihre Erwartungen. Gleichfalls die Zuschauer, wenn sie dem ironischen Bericht „Ludwig van“ folgen: da werden im Beethovenhaus Bonn Büsten aus Schmalz und Schokolade in einer Badewanne gelagert oder im legendären politischen ARD-Frühschoppen (mit Werner Höfer) die Frage „Wird Beethoven missbraucht“ diskutiert. Dazu wird „Seine Musik so klingen, wie er sie 1826 noch hören konnte. Durchwegs schlecht.“ Ein Film, der „Ludwig van“ als Mensch vor übereifrigen Bewunderern in Schutz nimmt.
Sprache für sich gibt oft Impulse, die Mauricio Kagel zur Komposition herausfordern. Etwa ein äußerst rares Sonett aus (fast nur) einsilbigen Wörtern von Qurinus Kuhlmann (1651–1689), von einem Freund zur Verfügung gestellter Privatdruck. Da ist Freude an den kuriosen Rhythmen und am versteckten Tiefsinn dieses Textes zu erkennen. Auch traditionelle Formen wie die „Serenade“ hat Mauricio Kagel gern entgegen Klischees verändert, sodass ein Trio mit Flöten, Gitarre, Mandoline, Banjo und Perkussion jeden romantischen Hauch verdrängt. Das „Doppelsextett für Instrumentalensemble“ ist eine grell flimmernde Kammersymphonie, „bei der ich versucht habe, eine organische musikalische Form zu gestalten.“ In ebenso seltsamen wie fantastischen Dialogen von je sechs Holzblas- und Streichinstrumenten. Hier zeigt sich, dass Mauricio Kagel sowohl ein Pan-Media-Komponist ist als sich auch seiner Traditionen bewusst ist.
Die sorgfältige Ausstattung der Mauricio Kagel Edition mit seinen Werkkommentaren, Fotos zum Film und aus der Studioarbeit sowie die digitale Überarbeitung der älteren Aufnahmen ist ein freundschaftliches Geburtstagsgeschenk aus dem Hause Winter & Winter wie es schöner nicht sein könnte.
Mauricio Kagel Edition
I. Kagel singt und spielt
Pandorasbox, Bandoneon – Tango Ale-mán – Bestiarium
II. Ein Aufnahmezustand (Hörspiel)
III. Ludwig van (Film)
Winter & Winter 910 128-2
(2 CDs & 1 DVD)Mauricio Kagel
Alles wechselt
Quirinus’ Liebeskuss – Serenade – Doppelsextett
Schönberg Ensemble – Nederlands Kamerkoor, Leitung: Reinbert de Leeuw
Winter & Winter 910 126-2Mauricio Kagel
Kantrimiusik
Nieuw Ensemble Amsterdam
(in Vorbereitung)