Jonathan Harvey *** Wolfgang Rihm *** Carola Bauckholt *** Uri Caine *** Berio, Bussotti, Cage, Xenakis, Brown
Ein interessanter Aspekt im vielfältigen, von gleichbleibend hoher Inspiration getragenen Schaffen von Jonathan Harvey zeigt sich in drei Instrumentalwerken, in denen trotz fehlendem Gesang das stimmliche Element eine zentrale Rolle spielt. „Scena“ für Violine und neun Instrumente ist eine imaginäre Opernszene, in der das gesanglich geführte Soloinstrument in extreme Ausdrucksbereiche vorstößt, „Jubilus“ für Viola und Ensemble verbindet eine gregorianische Melodie mit einem buddhistischen Ritual, und in „Speakings“ für Orches-ter mit Elektronik werden Klang und Rhythmus der menschlichen Sprache auf die Instrumente übertragen, was zu gestisch mitreißenden, bisweilen auch herrlich schrägen und komischen Ergebnissen führt. Die Musik eines Komponisten, der immer wieder für Überraschungen gut ist. (æon AECD 1090)
In den letzten Jahren hat sich Wolfgang Rihm mehrfach Texten mit geistlichem Hintergrund zugewendet, so auch in der 2006 entstandenen Komposition „Vigilia“ für sechs Stimmen und Ensemble. Das auf den Karwochen-Responsorien basierende Werk ist jetzt in einer chorischen Fassung auf CD erschienen. Die A-cappella-Chorsätze wechseln sich ab mit Instrumentalsätzen, deren Bezeichnung „Sonata“ auf die venezianische Musizierpraxis eines Gabrieli verweist; in den Chorsätzen blitzen gelegentlich Assoziationen an die Harmonik eines Gesualdo auf, ohne sich je stilistisch anzubiedern. Eine dunkel-geheimnisvolle Atmosphäre herrscht vor, der Klang erinnert an die Gedacktregister der Orgel. Die Chorsätze sind voller polyphoner Feinheiten und nähern sich den Textinhalten eher vorsichtig an, als ihn bildhaft auszudeuten. Einzig das abschließende „Miserere“ erlaubt sich stärkere expressive Gesten. ChorWerk Ruhr und Ensemble Modern unter der Leitung von Rupert Huber leisten Vorbildliches. (Neos 10817)
Das 2008 bei der Münchener Biennale uraufgeführte Musiktheater „hellhörig“ von Carola Bauckholt, eigentlich eher eine Klanginstallation mit Live-Musik und Beleuchtung als ein Theaterstück, ist nun in einer Aufnahme aus Basel auf SACD erschienen. In der sorgfältig gestalteten Surroundakustik können sich die zwischen Artifizialität und konkreter Lebensäußerung schwankenden Klangprozesse räumlich ungehindert entfalten, und man erkennt die überlegte Klangdramaturgie, die hinter der Vielfalt der Erscheinungen steckt. Eine Entdeckungsreise durch unbekannte Landschaften des Geräuschs und des Ton und zugleich eine Schule des Hörens für alle, die Spaß an ausgefallenen akustischen Phänomenen haben. (Coviello SACD 61009)
Die Edition der „Twelve Caprices“ von Uri Caine glänzt durch eine originelle Aufmachung. Sie weicht von der üblichen Aufmachung einer CD völlig ab, indem sie anstelle eines Booklets mit wortreichen Erklärungen nur einen farbigen Bilderbogen mit zwölf Grafiken enthält, auf die sich die Musik offenkundig bezieht. Kleinzellig gebaute Klangfelder mit lebhafter Gestik wechseln sich ab mit tonalen Einsprengseln und neoklassizistischen Stilzitaten. Für Caine, der sich mit seinen jazzigen Mahler-Bearbeitungen einen Namen gemacht hat, ist das weniger ungewöhnlich als für das Arditti-Quartett, das hier ungerührt auf dem Glatteis der Postmoderne herumrutscht. (Winter & Winter 910 171-2)
Die Archäologie der Sechzigerjahre-Avantgarde, die Wergo mit der Wiederveröffentlichung der damals von Earle Brown in den USA edierten „Contemporary Sounds Series“ betreibt, setzt sich im dritten Dreierpack mit Werken von Berio, Bussotti, Cage, Xenakis, Brown und anderen fort. Eine CD ist der Vokalkünstlerin Cathy Berberian, eine dem Pianisten Yuji Takahashi gewidmet. Die dritte enthält ein einziges Werk, die in Tokyo unter der Leitung von Wilhelm Schüchter aufgenommene „Nirvana Symphony“ von Toshiro Mayazumi. Der mystische Orchesterklang ist durchsetzt mit rituellen Chorpartien und gebetsartigen Anrufungen von Vokalsolisten – eine Musik, die aufs Ganze zielt. (Wergo 6934-2, 3CDs)