Die Begriffe Stärke und Alter verbindet man selten, und wenn dann eher im übertragenen Sinne. Jazz erfordert ein Höchstmaß an Vitalität. Das Tenorsaxophon ist, vor allem, wenn man es in einem „hotten“ Stil spielt, klangvoll, vibratoreich, virtuos, also in einer Spielweise, die sich noch bis Coleman Hawkins, dem Urvater des Tenorsaxophons, zurückverfolgen lässt, gilt als etwas für kräftige junge Recken mit eisernen Lungen, nicht für Greise mit schwacher Puste. Und doch ist es oft so, dass Musiker, die ein Leben lang rückhaltlos mit voller Power geblasen haben, im Alter über Reserven verfügen, von denen Jüngere oft nur träumen können.
Er war noch keine 70, da verkündete Don Menza einer erstaunten Jazzwelt, er wolle sein Saxophon an den sprichwörtlichen Nagel hängen. Das hat er nicht lange durchgehalten. Menza ist, wie sein im Quartett mit Oliver Kent (p), Johannes Strasser (b) und Bernd Reiter (d) eingespieltes Album „The Rose“ zeigt, mit 84 immer noch einer der vitalsten Tenorwohltöner der Gegenwart. Und einer der vielseitigsten, kann er doch „breathy“ klingen wie Webster, voluminös wie Ammons, lyrisch wie Getz, rasend wie Griffin, melodisch wie Al Cohn – dabei aber immer unverwechselbar wie Don Menza. Dass die Musik eines gealterten Künstlers sanfter oszilliere und die Spannungen der Jugend einer wie auch immer gearteten Abgeklärtheit oder zeitlosen Klassizität weichen, scheint fast naturgesetzlich. Menza hat sich, wie viele alternde Musiker für hauptsächlich mittlere und langsame Tempi entschieden, wie die bewegende, seiner Frau gewidmete Ballade „The Rose“ – ja, so innig und warm klingt nur Liebe –, doch von Kräftemangel, der bei anderen solche Entscheidungen bedingt, ist nichts zu spüren. Es ist schlicht Reife, die Lust lange Töne mit klanglichen Nuancen auszukosten, weitgespannte Melodiebögen zu gestalten, Überflüssiges wegzulassen. Sparsam eingestreut in bewegteren „burnern“ sind einige seiner typischen druckvollen, sägenden schnellen Läufe – eine Erinnerung an den Heißsporn aus früheren Tagen, der mit 84 nichts mehr müssen muss, auch nicht zeigen, dass er schnelle Tempi draufhat. Mit jedem Ton bekundet er in diesem Album tiefes Erleben, erzählt er mit jedem Solo eine Geschichte, die nahe geht. (Challenge Records)
Der Däne Jesper Thilo teilt sich mit Don Menza die seltene Fähigkeit, im Stil jedes erdenklichen Tenorsaxophonisten spielen zu können – was außerordentliche technische Fähigkeiten voraussetzt. Mit 78 legt er nun gemeinsam mit Søren Kristiansen (p), Daniel Franck (b) und Frands Rifbjerg (d) das Album „Swing Is The Thing“ vor, in dem seine Improvisationen in überwiegend schnellen und mittleren Tempi in unprätentiöser Spielfreude und absoluter Spontaneität natürlicher, swingend-zwingender Folgerichtigkeit dahinfließen. Stilistisch konservativer als Menza, spielt er, der zu den ersten europäischen Saxophonisten gehörte, die die Achtung bei den amerikanischen Gaststars errungen, noch in der Tradition der Vorbilder seiner Jugend, als er Größen wie Don Byas, Ben Webster und Coleman Hawkins hörte, mit denen er auch musiziert hat. Vor allem an letzteren erinnert seine rhythmische Auffassung, während er im Übrigen das Naturell eines Zoot Sims offenbart. Nur Wenige spielen heute noch so souverän, authentisch und mitreißend im Mainstream-Stil der 50er-Jahre Tenorsaxophon. (Stunt Records)