Peter Michael Hamel: Vom Klang des Lebens; Wilfried Hiller: Buch der Sterne; Hans Otte: Stundenbuch. Roger Woodward, Silke Avenhaus, Klavier.
Celestial Harmonies P.O. Boc 30122
Drei große Klavierzyklen aus neuer Zeit! Hillers „Buch der Sterne“ auf die 88 Sternenbilder (das sind 88 Klavierstücke für die 88 Klaviertasten) sind mehr als zwei Stunden lang, Ottes Stundenbuch mit 48 Stücken und Hamels „Vom Klang des Lebens“ mit 12 Stücken dauern jeweils etwa eine Stunde. Wir haben drei Kompendien zeitgenössischer Techniken wie auch ästhetischer Ansätze vor uns.
Wilfried Hiller (gespielt von Silke Avenhaus) ließ sich durch die mit den Sternenbildern verbundenen Assoziationen zu einer weit gespannten Folge von Charakterstücken anregen, die eine Fülle von gedanklichen Querverbindungen, launigen Einfällen, tiefgründigen philosophischen Gedankengängen und natürlich immer andere spielerische Techniken einbringen. Hiller hat über 40 Jahre (1962 bis 2006) an diesem Zyklus gearbeitet, vor allem der Sternenhimmel der griechischen Insel, wohin er sich immer wieder zum Komponieren zurückzieht, ließ wohl den Wunsch reifen, die sporadischen Anfänge zu einer Totalität aller Sternenbilder auszubauen. Und wie so oft bei Hiller lassen sich seine Gedanken von dem geschichtlichen Hintergrundsspektrum des Gegenstands befruchten. Die Musik lebt auch aus der Weite der Verknüpfungen mit Astrologie und Astronomie, aus der Fülle der am Sternenhimmel entfachten Gedanken bis ins Unendliche hinein. Und jedes Stück fokussiert, das geht aus dem jeweiligen Titelzusatz hervor, auf einen ganz bestimmten Blickwinkel (etwa „Horologium – die Pendeluhr des Joseph Haydn“ oder „Grus – Totenklage des Kranichs“ und so weiter). So ergibt sich eine bunt wechselnde Vielfalt mit jeweils spezifischen pianistischen wie charakterlichen Anforderungen.
Hamels 1992 bis 2006 entstandener Zyklus „Vom Klang des Lebens“ (Pianist: Roger Woodward) ist eine Folge von „In memoriam“-Stücken, eine weite Reise durch signifikant die Moderne prägenden Ansätzen in reflexiver Spiegelung Hamels. Eine Reise ist es ganz bildlich, den Rahmen bilden zwei Stücke auf John Cage, die mit Abreise (erstes Stück) und Ankunft (zwölftes Stück) bezeichnet sind.
Dazwischen begegnen wir Musikern wie Miles Davis, Morton Feldman, Olivier Messiaen, Giacinto Scelsi, Iannis Xenakis und anderen. Die Musik, die Hamel schrieb, ist eine ganz persönliche schöpferische Antwort auf deren Anregungen. Wie bei Hiller ist durch die so divergierenden Anregungen ein weites Spektrum unterschiedlichster Charakteristika entstanden. Hamel (nebenbei Gratulation zum 60.!) stellt eine höchst inspirierte Landschaft „seiner“ Moderne vor, eine Landschaft mit vielen Fenstern in divergierende Richtungen.
Hans Ottes „Stundenbuch“ (1991 bis 1998, gespielt ebenfalls von Roger Woodward) ist viel einheitlicher und mehr nach innen gewendet. Anregungen mag man in frühen Arbeiten von Morton Feldman oder von Earl Brown vermerken, die Stücke schweifen frei in der Zeit, sind nicht an Taktstriche gebunden, sie wirken zum Teil wie Kalligraphien. Gerade in dieser Innerlichkeit aber sind sie von suggestiver Kraft geprägt, eine Änderung der Faktur schließt andere Tiefendimensionen auf: Die schwebenden Klänge, ganz abstrakt, besitzen in sich ruhende Weite.
Alle Stücke, das ist ein verbindender Aspekt, sind von einem guten Pianisten (also keinem Virtuosen) durchaus zu bewältigen, sie wären zum Beispiel auch ganz plastisch im Klavierunterricht einzusetzen. Und hier kommt ein zweiter Aspekt der Box hinzu, es sind drei Bücher beigefügt. Es sind die Partituren! Musik spricht aus sich heraus, es braucht keine Worte. Aber das Hören soll den Reiz am Spielen anregen und dafür wird das Material bereitgestellt. Und wer sich anders nähern will, wer sich also zunächst ans Klavier setzt und die Stücke erarbeitet, kann dann überprüfen, wie ein anderer Pianist die Stücke sieht und gestaltet. Das ist vielleicht das Schönste an dieser rundum gelungenen und anregenden Box.