Hans Pfitzner: Orchesterlieder. Hans Christoph Begemann, Nordwestdeutsche Philharmonie, Otto Tausk (1 CD) CPO 777 552 2
Erstaunlich, wie viele Werke von Hans Pfitzner – neben der vieldiskutierten, aber von keinem Lebenden je gehörten „Krakauer Begrüßung“ – noch immer nicht auf Tonträgern eingespielt sind. Die Lücke ist jedoch etwas kleiner geworden durch die CPO-Veröffentlichung mit Orchesterliedern. Neben einigen mehrfach eingespielten Gesängen dieses Genres, wie „Lethe“, „Wanderers Nachtlied“, „An den Mond“ oder „Willkommen und Abschied“ finden sich hier mehrere Opera, die auch im Konzertsaal seit Jahrzehnten nicht zu hören waren (sieht man ab von Konzerten der CD-Interpreten im Umfeld der Aufnahmen).
Udo Stephan Köhnes Beitrag im Booklet zitiert Wolfgang Rihms Statement, dass in Pfitzners Werk weder „das gebrochene Heutige“ noch „das ungebrochen Gestrige“ zu finden sei, was dessen Einordnung in die Musikgeschichte so schwer mache. Mehrere der hier eingespielten Lieder wirken auf unterschiedliche Weise gleichwohl der Moderne verpflichtet. 5 der 30 Orchesterlieder Pfitzners sind Originalkompositionen. Die umfangreichste, gut zehnminütige Vertonung von August Kopischs gereimter Sage der „Heinzelmännchen zu Köln“ bildet, als längstes Orchesterlied von rund zehn Minuten Dauer, den Anfang der Neueinspielung. „Die Heinzelmännchen“ op. 14 aus den Jahren 1902/03 zeigen in Pfitzners extrem klangmalerischer Ausdeutung des Textes eine verblüffende Nähe zur Klangcharakterisierung in der Klytämnestra-Szene von Richard Strauss’ „Elektra“. Mit einer bei Pfitzner sonst selten anzutreffenden Drastik charakterisiert das Orchester die Geräusche von Tierschlachten, Putzen und Schnarchen, bis hin zu hörspielartig kullernden Erbsen.
Ebenfalls erstmals eingespielt sind die – wohl aufgrund ihres martialischen Tons vordem nicht auf Tonträgern verfügbaren – „Zwei deutschen Gesänge“ aus den Jahren 1915/16: „Der Trompeter“ (auf ein Gedicht von Kopisch) und Joseph von Eichendorffs „Klage“ hat Pfitzner dem Flotten-Großadmiral Tirpitz gewidmet. In der CPO-Einspielung erfolgen sie ohne die ad libitum gesetzten Männerchöre und verlieren so etwas an entstehungszeitlicher Brisanz.
Häufig assoziieren die von Pfitzner zur Vertonung gewählten Texte Opern-Topoi, wobei der Komponist dann gerne nahezu identische Stimmungen seiner Musikdramen aufgreift – so etwa mit dem Blitzen der Flöte in „Herr Oluf“ die Gewitternacht aus dem „Armen Heinrich“. Das 1936 orchestrierte Eichendorff-Lied „Zorn“ aus dem Jahre 1904 wirkt in der Orchesterversion verstärkt wie eine dramatische Paraphrase auf Heinrich im dritten Akt von Pfitzners erstem Musikdrama, wobei in diesem Lied auch die nächtliche Zwergenwelt der „Rose von Liebesgarten“ hineinspukt. Die „fürstlichen Taten und Werke“ in Eichendorffs „Klage“ gemahnen klanglich an die kaiserliche Welt, sowohl in der Schauspielmusik zum „Käthchen von Heilbronn“, als auch in „Palestrina“. Aber gleiche dramatische Situationen klingen für Musikdramatiker – so auch bei Richard Wagner und verstärkt noch bei Pfitzners Zeitgenossen Siegfried Wagner – zu unterschiedlichen Zeiten offenbar durchaus identisch.
In „Lethe“, das im Oktober 1926 als Reaktion auf den Tod von Pfitzners Frau Mimi entstanden ist, schlägt der Komponist hingegen offenbar bewusst den Bogen zur Erscheinung der toten Frau des Komponisten in der „Palestrina“-Handlung und lässt das Lukretia-Motiv aus seiner „Musikalischen Legende“ anklingen. Manche kompositorischen Ideen kommen auch erst in der Orchesterversion deutlich zum Tragen, etwa das ostinate Rittmotiv in Goethes „Willkommen und Abschied“. Der Asket Pfitzner begegnet dem Hörer in „An die Mark“ (auf ein Gedicht der „Christ-Elflein“-Dichterin Ilse von Stach) wie auch in der Tonsetzung von Heines „Es fällt ein Stern herunter“.
Die Nordwestdeutsche Philharmonie brilliert mit solistischen Einzelleistungen und präziser Befolgung der Vorschriften (con sordino am Anfang von „An den Mond“, op. 18). Der niederländische Dirigent Otto Tausk arbeitet die Pfitzner’schen Spezifika trefflich heraus, ohne dabei den großen Bogen der Kompositionen aus den Augen zu verlieren, und gewährleistet selbst bei extrem symphonisch gestalteten Passagen stets die begleitende Funktion für den Solisten. Die vom Komponisten zumeist für Bass gesetzten Gesänge interpretiert der Hamburger Bariton Hans Christian Begemann mit dunklem Timbre und großer Textverständlichkeit bei sauberer Intonation: ein ausdrucksstarker, intensiver Gestalter.