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Eine letzte Art Chansons
Eine letzte Art Chansons
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Tonträger-Bilanz 2021: Jubilare 2021

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Der persönliche Jahresrückblick der nmz-Phonokritiker: Mátyás Kiss
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Aus Platzgründen muss ich mich auch dieses Jahr wieder auf einige Jubilare beschränken. Deren wichtigster: Josquin Desprez. Die vor 35 Jahren noch zu LP-Zeiten (!) gestartete, ursprünglich gar nicht geplante Gesamtaufnahme aller 18 Messen haben die in diesem Genre unübertroffenen Tallis Scholars unter Peter Phillips rechtzeitig zum 500. Todestag mit den Missae Hercules Dux Ferrarie, D’ung autre amer und Faysant regretz abgeschlossen (Gimell).

 Ein eher dionysisches, aber ebenso spannendes Stimmideal verkörpern Björn Schmelzer und sein Ensemble Graindelavoix auf „Josquin the Undead“, passend zum morbiden Thema „Laments, deplorations and dances of death“ (Glossa). Vor 25 Jahren starb in Moskau, seit langem bettlägerig, verarmt und vergessen, Mieczyslaw Weinberg. War man für seine 17 Streichquartette lange auf die Pionierarbeit des Quatuor Danel angewiesen, hat das Silesian Quartet nun bereits deren fünfte Folge mit Nr. 1, 16 und 17 vorgelegt (Accord), während das Arcadia Quartett mit dem 2., 5. und 8. gerade erst seinen viel versprechenden Zyklus für Chandos beginnt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Weinberg als Kammermusiker bald gleichberechtigt neben seinem Freund Schostakowitsch stehen wird.

Zum 150. Geburtstag von Alexander von Zemlinsky hat das Label Capriccio drei seiner Opern auf je 2 CDs neu aufgelegt, namentlich die jugendfrische „Es war einmal“, den reifen „Traumgörge“ und den nachgelassenen „König Kandaules“. Neueinstudierungen (auch seiner übrigen Opern) wären dennoch überfällig. Bei Naxos wurden die 9 Symphonien (nebst kurzweiliger Tänze) von Sir Malcolm Arnold anlässlich seines Hundertsten zu einer 6-CD-Box gebündelt. Die kongenialen Aufnahmen mit dem National Symphony Orchestra of Ireland unter Andrew Penny erinnern an einen bedeutenden, bei uns noch zu entdeckenden Symphoniker. Für Astor Piazzolla brauche ich zwar keine Lanze mehr zu brechen, aber die zum Zentenarium aus diversen Einzelalben kompilierte 3-CD-Box „Nuevo Tango! The Music of Buenos Aires“ (Harmonia Mundi) hält trotzdem so manche Überraschung bereit. 

György Kurtág erlebte 2021 seinen 95. Geburtstag. Sein dreiviertelstündiges Hauptwerk „The Sayings of Péter Bornemisza” mit dem Untertitel „Concerto for soprano and piano“ wird fast nie gespielt, denn beide Partien gehen an die Substanz. Tony Arnold und Gábor Csalog haben sich davon zum Glück nicht abschrecken lassen (BMC Records). Dasselbe biblische Alter hat heuer Friedrich Cerha erreicht; in seine „1. Keintate” und „Eine letzte Art Chansons” hat sich HK Gruber gestürzt. Die Wiener Mundart bietet kaum weniger Fallstricke als das Ungarische bei Kurtág, aber Gruber verfängt sich nie darin (Kairos). Seinen 85. konnte Steve Reich feiern. Die Holst-Sinfonietta unter Klaus Simon legte einen repräsentativen Querschnitt von Werken aus 30 Jahren vor, darunter sogar eine erstaunliche Ersteinspielung (Naxos). Wer glaubt, spätestens mit Ligetis Etüden sei alles Wesentliche zum Thema Neue Klaviermusik gesagt, der höre die „Clavinatas” und Sonaten des Norwegers Svein Hundsnes, mit 70 noch fast ein Jungspund: Auf bisher zwei CDs führt uns Laura Mikkola vor, dass rhythmische Muster aus Jazz und Rock mit gleichem Recht in die notierte Musik Eingang finden dürfen wie einst die höfischen Tänze des Barock (Grand Piano).

 

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