Respekt macht sich breit. Denn obwohl die Pandemie auch 2021 einen geregelten Konzertbetrieb zeitweise unmöglich machte, viele Veranstaltungen auch mit Blick auf Reisebeschränkungen ausfielen oder in die ferne Zukunft verlegt werden mussten – an Nachschub mit neuen Einspielungen hat es jedenfalls nicht gefehlt. Wie gut, dass die Silberlinge noch in Europa hergestellt werden. Ja, hier hat die Branche anderen viel voraus. Nur wer schon etwas länger und genauer hingeschaut hat (übrigens auch in das sonst bei Produktionen gern überlesene Kleingedruckte), der wird manche kleine Veränderung wahrnehmen und registrieren.
Da gibt es beispielsweise Major-Labels, deren Newsletter neuerdings seltsam blutleer anmuten. Viel zu sehr hatte man offenbar auf günstig zu produzierende Live-Mitschnitte gesetzt, viel zu sehr hing seit Jahren das eigene Programm (wie der Umsatz) an bestens live promoteten Stars und Sternchen. Wenn aber die Veranstalter vorsichtig agieren, gibt es keinen Umsatz, keine Mitschnitte und keine Veröffentlichungen der oft gehypten Lieblinge. Andere Labels wiederum haben sich von einer effektiven, funktionierenden Vertriebsstruktur verabschiedet und sind – Achtung! Management-Entscheidung! – für eine Handvoll eingesparter Dollars ins internationale Nirwana entschwunden.
Die kleinen Labels dürften die problematische Situation weitestgehend glimpflich überstanden haben. Jedenfalls schaue ich anhaltend verblüfft auf die Listen mit Neuerscheinungen. Klein bedeutet hier: kreativ und flexibel. So manche CD trägt zudem das Logo von „Neustart Kultur“. Hier sind also die Förderungen nicht nur angekommen, sondern haben auch etwas für alle bewirkt. Zugleich konnte aber auch ein gewisser Rückstau abgearbeitet werden. Denn mancherorts wird über Jahre hinaus projektiert und eingespielt, bevor dann endlich das Master fertig ist und die CD auf den Markt kommt. Und was das Streaming angeht, so beginnt sich auch hier der Markt zu klären: Primephonic wurde von Apple Music geschluckt – und war von heute auf morgen vom Netz; hingegen dürfte Idagio mit seinen (nicht vollständig) kuratierten Metadaten noch immer ein Geheimtipp unter Kennern sein.
Am Ende bleibt auch 2021 die Musik selbst, häufig genug in umfänglichen, wohlfeil dargebotenen Boxen präsentiert, wofür die Archive ein letztes Mal durchforstet wurden (DG, Warner und Sony können hier auf einen schier unendlichen Bestand zurückgreifen). Doch auch andere Labels haben sich großen Editionen gewidmet, nur vom Repertoire her nicht auf dem breiten Weg und auch nicht für die Leute mit den langen Ohren. Dazu gehört Capriccio mit einer kontinuierlich aufgebauten Braunfels-Edition oder CPO mit Werken von Max Bruch und Carl Reinecke. Ungebrochen ist der Hang zum Enzyklopädischen, der neuerdings wieder Anton Bruckner in den Fokus genommen hat. Doch was sollen all die Gesamteinspielungen, wenn man nicht endlich einmal hörende Gewissheit über die Fassungen bekommt? Hier haben die Bamberger Symphoniker unter Jakub Hruša Vorbildliches geleistet: die Vierte in allen drei Fassungen und mit allen Alternativen sowie einigen Skizzen (Accentus). Fröhliche Werkstatt!