György Ligeti: Die vollständige Klaviermusik; Fredrik UIIén, Klavier.
BIS/Klassik Center Kassel CD-1 683-84 (2 CDs)
Kaikhosru Sorabji: 100 Transzendentale Etüden: Etüden Nr. 1–25; Fredrik Ullén, Klavier.
BIS-CD-1 373
Die noch zu Lebzeiten des Komponisten konzipierte Neuausgabe von Ulléns Ligeti-Aufnahmen fasst nicht bloß die bislang erschienenen CDs zusammen, sie ergänzt sie auch – teils in Erst-
einspielung – um die frühesten und spätesten bekannten Kompositionen, nämlich die vier Klavierstücke „Basso ostinato“ von 1941 und die Etüden 17 und 18, die bis 2001 entstanden und das dritte Buch abschließen, sowie ein weiteres, als Etüde verworfenes Stück namens „L‘arrache-cœur“, das György Kurtág gewidmet ist. Somit bekommt der geneigte Hörer nicht nur eine süperb klingende Alternative zu den Aufnahmen Aimards an die Hand, sondern auch ein wertvolles Kompendium avanciertesten Umgangs mit Polyrhythmen – ein Hauptinteresse Ligetis, das sich bereits in der „Musica ricercata“ (1951-53) und den „3 Stücken für 2 Klaviere“ von 1976 andeutete. Außerdem bietet nur der Schwede eine Lesart der „Chromatischen Phantasie“ an – Ligetis einzigem konsequent dodekaphonen Werk und zugleich dem letzten, das er vor seiner überstürzten Flucht in den Westen noch vollenden konnte. Anhand seiner Klavierwerke könnten wir Ligetis musikalische Entwicklung von den ersten Versuchen bis hin zum Spätwerk verfolgen – wenn nicht zwischen 1958 und 1976 eine signifikante Lücke klaffen würde, in der unter anderem alle Stücke entstanden, die von der viel zitierten Mikropolyphonie Gebrauch machen – von den „Apparitions“ bis hin zur „San Francisco Polyphony“.
Sein aktuelles Projekt wird Ullén noch auf Jahre hinaus in Anspruch nehmen – eine herkuleische Tat, von der nicht einmal absehbar ist, wie viele CDs sie umfassen wird: die einhundert Etüden (1940–44) des Kaikhosru Sorabji; geschätzte Aufführungsdauer: sieben Stunden. Der völlig abgehobene Einführungstext trägt leider nichts zur Erschließung des in der Tat transzendental unzugänglichen Etüdengebirges bei, dessen musikgeschichtlicher Rang erst dann beurteilt werden kann, wenn der Zyklus komplett vorliegt. An der epochalen Bedeutung von Ligetis gefeierten Gattungsbeiträgen hingegen besteht schon jetzt kein Zweifel mehr.