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Trauer, Kanten, Popgenie

Untertitel
Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
Publikationsdatum
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Musik von und mit: Shawn Mendes, Johnny Marr, Andreas Kümmert, Mike Shinoda sowie Madsen.

Madsen und Lichtjahre. Schön, was Neues von den letzten Deutsch rockenden Musikern zu hören, die ein gesundes Verhältnis zur Ungeschliffenheit, zur Kante und zu Ecken pflegen. Leicht anders waren Madsen immer, wenngleich man ihnen mitunter einen Hang zur Allgemeintauglichkeit attestieren darf. Aber das ist nicht verwerflich und war bei Madsen zu jeder Zeit hübsch verpackt. Ein insgesamt feines, aber Gott sei Dank im Grundtenor schnodderiges Album, das musikalisches Kopfkino entfalten kann, textlich jedoch klar im Seichten bleibt. Doch, wen interessieren schon Texte. Es brummt. Passt. Anspieltipps: Kapitän, Mein erstes Lied. (Arising Empire)

Mike Shinoda, Bandkollege des verstorbenen Chester Bennington bei Linkin Park, betreibt auf seiner EP „Post Traumatic“ aktive Trauerarbeit. Das hört man nicht nur, es ist in jeder Note und in jeder Zeile greifbar. Nicht ernsthaft würde man jedoch hier ein Linkin- Park-Abklatsch-Album erwarten. Zumindest als Fan. Shinoda geht da eher den Weg Richtung Hip Hop, veredelt das ab und an mit Linkin-Park-affinen Refrains und bemüht sich doch sehr um Eigenständigkeit. Das gelingt überraschend gut, so dass man relativ schnell in diesem schleppenden, aber energetischen Trott der Songs gefangen ist und bleibt. Ein wahrer Autobahnsoundtrack. Nicht nur für tiefergelegte Modelle. Anspieltipps: Watching as I fall, Ghosts, Crossing a line. (Warner)

Andreas Kümmert, der einzige fast sichere ESC-Gewinner bereits vor der Veranstaltung, versucht sich weiter aus einem Loch zu kämpfen. „Lost and found“ klingt dann auch etwas unentschlossen. Natürlich ist Kümmerts Stimme nach wie vor schier großartig. Aber im Fach „Songwriting“ darf man Andreas Kümmert einen kleinen Anflug von Unbekümmertheit vorwerfen. Freilich ist das sauer produziert und nicht undurchdacht. Aber leider fehlt auch jedem einzelnen Song eine satte Injektion „Schmutz“. „Keep my heart burning“ erinnert ziemlich unverblümt an Welshly Arms (Legendary), Forever Innocent könnte auch auf Malle zum Aufräumen laufen und Calling out ist eben dann eine obligatorische Halbtemponummer für den BRAVO-Kuschelrocksampler 234. Letztendlich ein sauberes Album, aber lieber Andreas Kümmert, diesen gelifteten Kommerzkram kann doch auch Rea Garvey machen. Anspieltipps: Nothing is the same, Alone, Two fast cars. (Polydor/Island)

Ja, bei Johnny Marr, dem Gitarristen von The Smiths, spricht man natürlich zurecht von einer Legende. Entsprechend hoch liegt für ihn die Latte bei einem Soloalbum. „Call The Comet“ wurde der Messhöhe mehr als gerecht. Ein ziemlich rudimentäres Album, leicht Gitarren-lastig, aber absolut beheimatet im Sound klassischer Songwriter mit Band-Schubladen. Deswegen ein klarer Sommerausklang- Soundtrack, der jedoch schon jetzt ohne Weiteres gehört werden darf. Besonders schön ist Marrs Fähigkeit, den Song im Zentrum zu lassen, sich und alle Gitarren nach hinten zu stellen und trotzdem eine Verdichtung zu erreichen, die oft Gänsehaut erzeugt (Hi Hello). Man kann sich beim Sound der Platte natürlich einreden, dass man sehr wohl hört, dass das in Manchester aufgenommen wurde. Von der Hand zu weisen ist es nicht, denn eine gewisse Orientierungslosigkeit, ein spannendes Wabern und ein zielloses Suchen ist vielen Songs eindeutig anzumerken. Ein Meisterwerk? Keine Ahnung. Aber sicher ein cooles Album. Anspieltipps: Rise, Bug, My Eternal. (Rykodisc)

Shawn Mendes ist eben Shawn Mendes und deswegen nennt er sein aktuelles Album auch „Shawn Mendes“. Wenn Popmusik je eine Zusammenführung bräuchte, Shawn Mendes wäre die einzige Lösung, das hinzubekommen. Der Junge kann alles. Blues, Rock, Soul, Pop, Romantik, Up-Tempo, Lässigkeit, Charme, Songwriting. Jeder Song ist so berechtigt, so untypisch kommerziell, dennoch so allgemein brauchbar. Unter all den Genres, die er hier bedient, auch noch einen roten Faden für den Zuhörer baumeln zu lassen, das ist uneingeschränkt zu loben. Nun, vielleicht würde ich mir diese Platte nie kaufen. Aber hören. Denn mit seinem Potential so unaufgeregt, so erfrischend und knisternd zu klingen, das darf man einfach nicht ignorieren. Anspieltipps: alles. (Island) 

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