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Unerhörtes von Avantgarde-Ikonen

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
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Ist jemand zur Jazz-Ikone geworden, insbesondere post mortem, sind Fahndungsaufträge nach unveröffentlichten Aufnahmen oder Kontakte zu Erben fast garantiert. Abgesehen von der Begeisterung der Sammler und Archivare ist der kulturhistorische Wert manches Fundes genauer zu taxieren.

Dieses Anspruchs auf Seriosität sind sich die Editoren beim US-amerikanischen Label Resonance durchaus bewusst. Nicht nur ist dort passend zum 100. Geburtstag von Charles Mingus „The Lost Album From Ronnie Scott’s (London, August 1972)“ erschienen, sondern das 3-CD-Set ist auch mit fundierten Kommentaren und sogar einem Original-Interview mit dem Bassisten selbst angemessen ausgestattet. Das dokumentierte Konzert, dessen exzellente Tonbänder die Witwe Sue Graham Mingus knapp ein halbes Jahrhundert unberührt aufbewahrte, ist schon eine kleine Sensation. Denn das Sextett mit Charles McPherson (Alto-Sax), Bobby Jones (Tenor-Sax, Klarinette), John Foster (Klavier), Roy Brooks (Schlagzeug) und Jon Faddis (Trompete), damals gerade 19 Jahre alt (!), ist eine Tour de force und vor allem bei Charles Mingus von hochsensibler Inspiration geleitet: Die turbulente Dramaturgie der Sequenzen in „Orange Was the Color of Her Dress, then Silk Blue“ etwa wirkt wie aus spontanen Regieanweisungen entstanden, und die vertrackten „Mind Readers’ Convention in Milano“ bringen die Solisten (exzeptionell: Jon Faddis) an den Rand realisierbarer Spielpraxis.

Im Vergleich zu diesem „organisierten Chaos“, wie Charles Mingus seine Musik nannte, ist der Stil vom Klavier-Pionier des Modern Jazz Bill Evans geradezu antipodisch: Lyrisch und introvertiert swingt er dezent durch eine „Morning Glory“-Stimmung, als er bei „The 1973 Concert At The Teatro Gran Rex, Buenos Aires“ auftrat, und ziseliert ein „Emily“-Porträt als kontrapunktisches Klangtableau. Ebenbürtig sind ihm Eddie Gomez am Bass, monologisch „Re: Person I Knew“ parierend, und Marty Morell, stets in gedämpften Timbres und zurückhaltender Dynamik. Sechs Jahre später ist er wieder in Argentinien, dieses Mal jedoch „At The Teatro General San Martin, Buenos Aires“, wo Bill Evans sehr elegant „Stella By Starlight“ heraufbeschwört und „Laurie“ mit rauschenden Harfen-Arpeggien grüßt. Hier ist der musikalische Horizont trotz des Primats „Inner Spirit“ um einige Grade progressiver, hat Bill Evans, Meister feinsinniger Jazzharmonik, doch mit Bassist Marc Johnson und Schlagzeuger Joe Labarbera zwei Partner der jüngeren Generation zur Seite. Beide Gigs, deren Bänder Bill Evans’ Sohn Evan zur Verfügung stellte, hatten ihre eigene Magie, wie zu hören ist, und werden von den ehemaligen Akteuren sowie von Pianisten der Gegenwart wie Enrico Pieranunzi und Richie Beirach bewundernd betrachtet. Wer einst als unbequemer Avantgardist galt, ist jetzt, wie die genannten und bisher unerhörten Funde rechtfertigen, als Ikone der Jazzhistorie nobilitiert.

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