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Rolf W. Stoll. Foto: Schott/Wergo
Rolf W. Stoll. Foto: Schott/Wergo
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„Unsere Passion ist die zeitgenössische Musik“

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Interview mit Rolf W. Stoll zum 50-jährigen Jubiläum des Labels Wergo
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Mit der Veröffentlichung von Schönbergs „Pierrot lunaire“ aus der Pariser Konzertreihe „Domaine Musical“ fing 1962 alles an: der Kunsthistoriker und Enthusiast Werner Goldschmidt sowie Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer hoben das Label Wergo aus der Taufe. Als sich 1970 Schott Music des Labels annahm, begann eine Zeit großer Kreativität im Bereich zeitgenössischer Musik. Mittlerweile kamen mehr als 600 Produktionen auf den Markt. Wergo stellt noch immer eine herausragende Konstante im Bereich der aktuellen Musikszene dar. Viele der (prämierten) Aufnahmen rufen bei Kennern anhaltende Begeisterung hervor. Die nmz sprach zum Jubiläum mit Rolf W. Stoll, dem Geschäftsführer der Schott Music & Media GmbH.

neue musikzeitung: Die zeitgenössische Musik, für die sich Wergo einsetzt, war und ist ein Spezialgebiet. Wo verorten Sie sich im Spannungsfeld von Bildungsauftrag und kommerziellem Plattenlabel?

Rolf W. Stoll: Das Label erfüllt mehrere Zwecke: Zum einen bringt es die Komponisten des Verlags auf CD. Allerdings haben wir etwa 70 Prozent an Veröffentlichungen, die nicht von Verlagskomponisten stammen. Dieser Teil ist also ganz sicher unter „Kulturauftrag“ zu verbuchen. Geld verdient man mit einem Label nicht, das sich auf zeitgenössische Musik spezialisiert hat. Was wir einnehmen, reicht immer gerade so, um damit neue Projekte zu verwirklichen. 

nmz: „The Medium is the message“ – Was bedeutet Marshall McLuhans berühmtes Diktum für ein Label wie Wergo, das auch die Schallplattengeschichte geprägt hat? 

Stoll: Wergo hat im Laufe seiner 50-jährigen Geschichte alle Aggregatszustände durchlebt – und überlebt. Letzteres gleicht angesichts der Möglichkeiten zur schrankenlosen Vervielfältigung, die die heute gebräuchlichen Technologien möglich machen, einem Wunder. Na ja, nicht ganz: Wergo ist bekannt für seine außerordentliche Klangqualität und die gleichermaßen informativen wie anspruchsvollen Texte seiner Booklets. Darin ist sicher auch ein Grund für sein Überleben zu sehen. 

nmz: Das Angebot von Wergo ist in den 50 Jahren sehr bunt geworden. Wo ist die Grenze? 

Stoll: Schon 2001, als ich die Geschäftsführung des Labels übernahm, habe ich eine ziemlich rigorose Bereinigung der Kataloge des Labels und damit eine Schärfung seines Profils vorgenommen. Seither produziert und veröffentlicht Wergo ausschließlich zeitgenössische Musik. Das soll auch so bleiben.

nmz: Mittlerweile gibt es Forderungen nach kostenloser Verbreitung von Musik im Internet. Wie wird sich dieser Trend – und damit die Medienlandschaft – Ihrer Meinung nach entwickeln und was bedeutet das für Wergo?

Stoll: Einfacher wird es sicher nicht. Selbstredend haben wir die technischen Möglichkeiten der Distribution, die heute zur Verfügung stehen, aber genutzt: Wergo ist in allen wichtigen Plattformen gelistet und seine Produktionen stehen zum Bezahl-Download zur Verfügung. Gerade in diesen Tagen unternehmen wir einen noch weiter gehenden Schritt, indem wir mit einer Plattform zusammenarbeiten, die endlich den Download in technisch sehr hoher Qualität – also jenseits von MP3 – zu bieten in der Lage ist. Wir sind sicher, dies wird von den anspruchsvollen Hörerinnen und Hörern Neuer Musik honoriert. 

nmz: Nicht zuletzt durch die Denker der Frankfurter Schule, wie etwa Adorno, wird die zeitgenössische Musik traditionell sehr kritisch diskutiert. Die „Nachbeben“ der „Grabenkämpfe“ von einst sind bis heute zu spüren. Welche Rolle spielen diese Implikationen für ein deutsches Label wie Wergo?

Stoll: Die Zeiten der „Grabenkämpfe“ sind vorbei. Wergo repräsentiert die Neue Musik in ihrer ganzen Vielfalt: Boulez neben Vasks, Stockhausen neben Hirsch, Riley neben Henze, Cage neben Oldörp. 

nmz: Ehemalige kleine Budget-Labels wie Naxos sind heute Global Player, nicht zuletzt deshalb, weil Trends frühzeitig erkannt und umgesetzt wurden. Mit welchen Strategien wollen Sie sich – vor allem auch im Hinblick auf die enzyklopädische „Naxos Music Library“ – im Markt behaupten? 

Stoll: Unsere Passion ist die zeitgenössische Musik. Wir bleiben dabei – und auch bei unserem hohen Qualitätsanspruch. Da haben Strategien, den Markt mit Billigproduktionen zu überschwemmen, keinen Platz. Womöglich werden wir damit nie zum „Global Player“. Aber wir bleiben Wergo. 

nmz: An welche Highlights der 50-jährigen Geschichte erinnern Sie sich besonders gern?

Stoll: Wo soll man da anfangen? Vielleicht bei der Gesamteinspielung der Sinfonien Karl Amadeus Hartmanns, bei Bernd Alois Zimmermanns Jahrhundertoper „Die Soldaten“, um dann Earle Browns legendäre, 18 LPs umfassende Contemporary Music Series zu nennen, die wir jetzt auf 18 CDs herausgebracht haben. Nicht zu vergessen Cages großartiges Diary „How to improve the world – You will only make matters worse“ oder das „25-Year-Retrospective-Concert of the Music of John Cage“, dann die Kompletteinspielung der Sinfonien Hans Werner Henzes, Nancarrows „Studies for Player Piano“ auf 5 CDs, Giacinto Scelsis „Canti del Capricorno“ in zwei Fassungen der unvergleichlichen Michiko Hirayama oder Hans G Helms’ epochales Sprachkunstwerk „F:am’ Ahniesgwow“ und schließlich Grete Sultans und Sabine Liebners Einspielungen der als unspielbar geltenden „Etudes Australes“ von John Cage. 

nmz: Und welche Wergo-CD würden Sie mit auf die sprichwörtliche „einsame Insel“ nehmen? 

Stoll: Diese Frage bereitet mir wirkliche Qualen. Vielleicht wäre es die Cage/Frescobaldi-CD „Anarchic Harmonies“ mit Mike Svoboda und Stefan Hussong ... oder doch lieber Cages’ „Etudes Australes“ von Sabine Liebner ... oder – warten Sie – eher die Hosokawa/Gagaku-CD „Deep silence“ mit Mayumi Miyata? Und dabei gäbe es doch noch so viele andere ... Ich bleibe dann doch lieber auf dem Festland. Den vielen guten CDs zuliebe. 

nmz: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stoll, und alle guten Wünsche für Wergo. 

Interview: Burkhard Schäfer

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