José de Torres: Amoroso Senõr | Abel Selaocoe: Where Is Home? | Wladimir Martynow: Martynov Edition
José de Torres: Amoroso Senõr. Aurora Peña (Sopran), Concerto 1700, Daniel Pinteño. 1700 Classics
Auch im Zeitalter des Internets und der omnipräsenten Verfügbarkeit kommt es abseits der großen Mainstream-Labels bei physischen CDs noch immer auf den Vertrieb an. So erging es offenbar auch diesem Album mit Musik von José de Torres (1670–1738), das erst jetzt hierzulande einen Distributor gefunden hat. Und man darf sich Augen und Ohren reiben: Spanische geistliche „Cantadas“ (Kantaten) im besten italienischen Stil, überliefert in den Kathedralen Mexikos und Guatemalas. Was alles ist eigentlich noch durchs Raster der Musikgeschichte gefallen? Mit Sicherheit jedenfalls eine großartige Musiktradition in der hispanischen Welt auf beiden Seiten des Atlantiks. Aurora Peña und das Concerto 1700 verleihen den Raritäten ein neues Leben, aufführungspraktisch auf der Höhe der Zeit.
[Michael Kube]
Abel Selaocoe: Where Is Home? Warner
Klassisch ausgebildet, adaptiert Abel Selaocoe aus der Republik Südafrika indigene Songs für seine Cello-Stimme und oft zugleich auch als Vokalist. Gelegentlich erweitert um einen Chor und eine Streicher-Bigband, kombiniert er Afro-Grooves und Cello-Invokationen, Eigenarrangements etwa der Platti-Sonate in Begleitung mit Zimbalon-Ornamenten sowie experimentelle Klänge und Exzerpte aus den Bach-Suiten. Agile Lebensfreude und instrumentale Virtuosität werden mit Abel Selaocoe zur betörenden Einheit.
[Hans-Dieter Grünefeld]
Wladimir Martynow: Martynov Edition (7 CDs). Opus Posth Ensemble, Verschiedene Künstler. Brilliant Classics
Die in diese Edition eingeflossenen, über mehrere Jahrzehnte kompilierten Werke Wladimir Martynows (geb. 1946)zeigen vor allem groß angelegte Vokalkompositionen, wobei sich das Œuvre des gebürtigen Russen über alle gängigen Formate erstreckt. Stilistisch lässt sich Martynow nicht festlegen: In ein oftmals schlankes Gerüst aus ostinaten Bausteinen, fließen in seine Werke Einflüsse aus Gregorianik („Klagelieder Jeremias“) und südosteuropäischer Folklore („Nacht in Galicien“), Wiener Klassik und Spätromantik – manchmal alles gleichzeitig, wie im Requiem, wodurch dem Werk etwas Eklektizistisches anhaftet. Teilweise kitschig muten die in „cherubische“ Höhen ausbrechenden Violinen und Kadenzen im klassischen Stil an, die an Stellen eingebaut werden, wo sie nicht unbedingt nötig wären. Martynows Kompositionen können archaisch klingen, sind aber meistens stille Elegien. Er macht keine harmonischen oder rhythmischen Experimente. Die Musik ist überwiegend diatonisch, daher auch einem breiteren Publikum schnell zugänglich. Die Kombination aus gregorianischer Rezitation, orientalisch anmutenden Verzierungen und deren ständige, ostinate Wiederholung geben der Musik eine religiöse Konnotation, die allerdings nicht immer so überzeugend ist, wie es Martynow durch seine Auswahl religiöser und philosophischer Textvorlagen implizieren möchte. Generell scheint die Auseinandersetzung mit der Musik an das Bedürfnis des Hörers zur Selbsterleuchtung gekoppelt zu sein, denn das Grundgerüst der nicht selten halbstündigen Stücke wirkt etwas verlassen und nihilistisch. Klanglich ist an den Aufnahmen nichts auszusetzen. Die beteiligten Orchester und Ensembles – das Opus Posth Ensemble wird dirigiert von Tatjana Grindenko, der Ehefrau Martynows, die auch in einigen Werken die Solovioline übernimmt – bieten einen guten Zugang zum Komponisten.
[Patrick Erb]