Neue Platten von Stephen Brandon, Luke Sital-Singh, San Glaser, Addys Mercedes, U2, The Tea Party und Ryan Adams.
Irgendwie war er weg, Ryan Adams. Ganz unten im Whiskey-Sumpf. Dass er am 5. September dennoch ein Album mit Selbstbetitelung veröffentlichen kann, mag eine Fügung des Schicksals sein, die dann aber auch wieder nur ganz große Singer/Songwriter auf die Reihe bekommen. Nach drei Jahren Pause und einem angeblich fertigen Album, das er dann doch in die Mülltonne trat, ist Ryan Adams das bisher ungeheuerlichste, ramponierteste und unwiderstehlichste Album des Jahres gelungen. Schon das Gitarrenriff zum Opener „Gimme something good“ hat einen Platz im Riff-Museum verdient. Wer dann noch eine Textzeile wie „I was playing dead/I didn’t make a sound/Holding my breath/Going underground“ dichtet, dem ging es wohl wirklich schlecht. Mit anderen Worten: grandioses Rockalbum, das mit „I just might“, „Shadows“, „Kim“ oder „Trouble“ noch ordentlich nachlegen kann (PAX-AM/Columbia Records).
Klassische, aber keineswegs verkümmerte Rockmusik spielen seit einigen Jahren The Tea Party aus Kanada, wenngleich das letzte frische Material zehn Jahre zurückliegt. „The Ocean at the end“ fungiert nun als Rückkehr von Jeff Martin (Vocals, Gitarre, Produzent, Songwriter), Stuart Chatwood (Bass, Keyboard) und Jeff Burrows (Drums, Percussion). Das Trio lässt kein Rockzitat aus (düstere Riffs, fiese Gitarrenläufe, tiefe, knödelnde Stimmlagen, empathische Refrains mit Schmalz klimperndem Klavier), weiß aber genau, wann und wenn es zuviel ist. Dann setzen die eigenen Ideen markante Erkennungspunkte und lassen den Hörer mit Zufriedenheit zurück (Inside Out Music).
Unglückliche iTunes-Nutzer haben das neue U2-Album „Songs of Innocence“ bereits geschenkt bekommen. (siehe auch Seite 16). Andere müssen es wohl kaufen. Ob die Absatzzahlen mit den Zahlen des geschenkten Downloads mithalten können, wird fraglich. Nach „No Line on the Horizon“ im Jahr 2009 greift „Songs of Innocence“ die anbiedernde „kommerziell können wir alles“-Attitüde der Iren nahtlos auf. Alles, was hip sein und Kaufinteressenten unter 30 Jahren locken könnte, wird in die Songs gepackt. Club-Beats, Synthi-Wummern, uralte Schlagzeug-Muster und immer immer immer: Bonos „oh oh oh – uh uh uh“. Ich meine, irgendwann wird die gute Raufasertapete eben mal langweilig. Hoffentlich war das Album nur die zweite Wahl für Apple-Kunden und die erste Wahl wird bald als normales Album verkauft. Kommt wieder runter, Iren! (Island/Universal Music).
Addys Mercedes ist cool. Jedes Album eine lockere Darbietung. Ungezwungen, frei, könnerisch. Die in Essen lebende Kubanerin weiß eben, wie Kuba wirklich klingt. Mal traurig, mal lebensfroh. Ohne Stereotype kommt daher ihr viertes Studioalbum „Locomotora a Cuba“, das quasi im Familienverbund eingespielt wurde. Macht gar nichts. Hervorzuheben ist grundsätzlich kein Song. Das Album läuft durch und am Ende angekommen, drückt man auf „Repeat“. Ach so. „Bembé“ unbedingt anhören! (Media Luna/Indigo).
Die Niederländerin San Glaser, lebend in Hamburg, treibt sich ja nun doch schon einige Jahre als Sängerin und Songschreiberin durch die Welt des souligen Jazz. „Beautiful stranger“ wurde nun ein Album, das man sehr gerne hört. Am liebsten wohl in einer abgedunkelten Bar, Downtown New York, ein kleiner Spot auf San Glaser, dahinter eine coole Band und mindestens einen Abend lang Zeit, den Songs des Albums zu lauschen. Es gibt hier nichts zu meckern, nur zuzuhören. (Dutchland Music/Cargo Records).
Seine EPs „Tornado“ und „Old Flint“ waren schon verdammt gut. Luke Sital-Singh aus England legt jedoch mit „The Fire Inside“ zwölf weitere famose Songs nach und überzeugt als Musiker, Texter, Dramaturg, Rockmusiker, Popkünstler, Herr der leisen Töne, Meister des Spannungsbogens und würdiger Singer/Songwriter, der durchaus einmal zu den Großen zählen wird. Wann, das muss er selbst entscheiden. Es gilt der vehemente Hinweis, das Album dringend zu hören. (Parlophone/Warner).
Stephen Brandon, Australier, der sich der Musik wegen nach Europa traute, gefällt auf „Floating On A Limb“ über sehr, sehr weite Strecken. Freilich. Er ist noch so ein Sänger/Songschreiber auf der Suche, dessen Plattenfirma ihn im Genre „Urban Folk“ einsortiert. Ist o.k. Stilprägend neben der obligatorischen Gitarre ist Brandons elektrische Geige, die oft im Vordergrund steht und leider allzu oft den Vordergrund ertränkt. Man könnte das noch justieren (Timezone).