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Vergessen zwischen Klassik und Romantik

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Neu auf CD: Louis Spohr zum 150. Todestag am 22. Oktober 2009
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Händel, Haydn und Mendelssohn, die auch in anderen Jahren genügend Aufmerksamkeit bekommen, sind abgefeiert, Louis Spohrs 150. Todestag dagegen ist einmal mehr übersehen worden. Die Tonträgerindustrie hat die Gelegenheit verschlafen, eins seiner vier Oratorien in einer adäquaten Neueinspielung herauszubringen, und die Ansätze (von cpo und Hyperion) zu einer Gesamtaufnahme seiner zehn Sinfonien sind nach jeweils zwei Folgen offenbar versandet.

Dabei hatten gerade die Bemühungen des Orchesters der italienischen Schweiz unter dem Hummel-Experten Howard Shelley aufhorchen lassen und auf eine Fortsetzung neugierig gemacht. Der Qualitätssprung zu Spohrs früheren, zwar beachtlichen, doch mit nur wenig Eigenprofil aufwartenden Gehversuchen als Sinfoniker war in der 4. Sinfonie in F-Dur „Die Weihe der Töne“ nach dem Gedicht eines verstorbenen Freundes als besonders eklatant aufgefallen. Im Jahre ihrer Niederschrift 1832 hatte Spohr gerade seinen jüngeren Bruder verloren, und seine geliebte Frau Dorette war bereits schwer krank. Das brachte eine Vertiefung der musikalischen Aussage, während die Gedichtzeilen seiner ehedem vergleichsweise harmlos anmutenden Orchestersprache insofern aufhalfen, als ein Trauermarsch als zentraler Symphoniesatz trotz des Vorbildes aus der Eroica immer noch als experimentell gelten musste.

Ein ähnlich von der Norm abweichendes Vorgehen kann man Spohr bereits bei der Sonata concertanta in Es-Dur op. 114 aus dem Jahre 1811 attestieren, die er wie eine ganze Reihe anderer bedeutender Kammermusikwerke seiner Frau, einer bedeutenden Harfenistin, auf den Leib schrieb: Die Duos für Violine und Harfe hatte das junge Ehepaar auf seinen Konzerttourneen im Gepäck. In der Sonata hatte Spohr eine Reihe von Motiven aus der „Zauberflöte“ seines lebenslang verehrten Vorbildes Mozart kunstvoll in den abschließenden Variationensatz eingeflochten. In der Neueinspielung – eine von immerhin drei, die Naxos zum Jubiläumsjahr vorlegte – wird der Violinpart von der Querflöte übernommen, eine der beiden alternativen Besetzungen (die andere wäre Cello gewesen), die Spohr ausdrücklich vorsah. Die sogar mit einer Ersteinspielung aufwartende, für Naxos-Verhältnisse opulent ausgestattete CD sei gerade denjenigen Kammermusikfreunden ans Herz gelegt, die sich das Spohr-Vergnügen bislang von den übermächtigen Vergleichen mit den Wiener Klassikern auf der einen und den einschlägigen Romantikern auf der anderen Seite haben verderben lassen: Diese Besetzung ist nicht vorbelastet.

Denn nicht durch eigentliche Qualitätsmängel ist Spohrs Stern seit seinem Tode derart gesunken, sondern durch seine eigentümliche Zwitterstellung zwischen Klassik und Romantik. Und wenn dann ein zwar kaum genial zu nennender, aber sein Handwerk vorzüglich verstehender und sich zu Recht auf seine Inspiration verlassender Komponist nur von Interpreten aus der zweiten Reihe aufgegriffen wird, ist der Schaden kaum wieder gutzumachen.

Ein Beispiel hierfür wären die 28 Streichquartette, deren nunmehr 13. Folge bei Marco Polo von einem wie eilig zusammengewürfelten „Moscow Philharmonic Concertino String Quartet“ vorgelegt wurde. Der aus persönlichen Gründen von Spohr mit prominenten Aufgaben bedachten Primgeige tut ein grobkörniger Bogenstrich naturgemäß Abbruch. Kaum vorstellbar, was eines der westlichen Top-Quartette aus dieser Musik machen könnte! Zum Glück gibt es für beide Schwächen dieser Einspielung – mangelnde Koordination im Ensemble und zu geringe Flüssigkeit der Geigensoli – rundum geglückte Gegenbeispiele: Das englische Forde Ensemble hat sich für seine Debüt-CD die ersten beiden Oktette beziehungsweise Doppelquartette erarbeitet (die letzten beiden sollen folgen), von denen das zweite dem berühmten ersten kaum nachsteht: ein Muss für alle, die das schon ältere Hyperion-Doppelalbum nicht besitzen.

Das einzige andere Werk Spohrs, das sich einigermaßen im Repertoire behauptet hat, ist das achte Violinkonzert „in Form einer Gesangsszene“, das in der Tat so geschickt dem Modell „Rezitativ und Arie“ nachempfunden wurde, dass man es problemlos mit Worten unterlegen könnte. Der „gesangliche Vortrag“ ist für die niederländische Geigerin Simone Lamsma, die mir durch u uihr vorzügliches Elgar-Recital noch in lebendiger Erinnerung ist, hier ebenso wenig eine Hürde wie bei den anderen, weit unbekannteren Violinkonzerten, die hier nach Ulf Hoelscher schändlicherweise erst ihre zweite Verewigung erleben. Dabei wusste Spohr als gefeierter Geigenvirtuose und Antipode Paganinis nur zu gut, was sein Instrument ins rechte Licht setzt, kannte dazu aber noch als erster moderner Dirigent die Möglichkeiten des Klangkörpers Orchester wie seine Westentasche. Es wäre zu begrüßen, wenn diese sorgfältige Einspielung andere Geiger (und Konzertveranstalter!) an die eminenten Qualitäten der, je nach Zählung, 15 beziehungsweise 18 Violinkonzerte Spohrs erinnern würde.

Diskographische Hinweise

  • Symphonien 1 & 2, Ouvertüre F-Dur; Orchestra della Svizzera Italiana, Ltg.: Howard Shelley. Hyperion/Codaex CDA67616
  • Symphonien 4 & 5, Ouvertüre „Das befreite Deutschland”; Besetzung wie oben; Hyperion CDA67622
  • Flötensonaten; Elisabeth Möst, Querflöte; Ieuan Jones Harfe; Naxos 8.572269
  • Streichquartette Vol. 13: No. 9 op. 29, 3 f-Moll & No. 17 op. 58, 3 G-Dur; Concertino String Quartet. Marco Polo/Naxos 8.225315
  • Doppelquartette Vol. 1: No. 1 d-Moll op. 65 & No. 2 Es-Dur op. 77; Forde Ensemble. Naxos 8.570963
  • Violinkonzerte No. 6 g-Moll op. 28, No. 8 a-Moll op. 47 & No. 11 G-Dur op. 70; Simone Lamsma, Violine; Sinfonia Finlandia Jyväskylä, Ltg.: Patrick Gallois. Naxos 8.570528 

 

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