Rued Langgaard: Symphonien Nr. 15 & 16, Drapa, Sphinx, Res Absurda!? u.a., Danish National Symphony Orchestra, Vocal Ensemble & Choir, Leitung: Thomas Dausgaard. Dacapo/Naxos SACD 6.220519. The Music Of The Spheres, The Time Of The End, From The Abyss; Solisten, Danish National Symphony Orchestra & Chorus, Leitung: Thomas Dausgaard. Dacapo SACD 6.220535
Diese beiden gut einstudierten, sauber klingenden und ausführlich dokumentierten SACDs enthalten Rued Langgaards erste und letzte Worte als Symphoniker sowie zwei Hauptwerke aus seiner mittleren Periode; sie decken somit einen Zeitraum von 45 Jahren ab. „Drapa“ (= Widmung, auf den Tod von Edvard Grieg), eine Talentprobe des 14-Jährigen, bedient sich noch eines ungebrochen romantischen Idioms. Auch die „Sphinx“, ein sechsminütiges Tongemälde für Orchester, das 1913 beim zwar erfolgreichen, aber letztlich folgenlosen Konzert zusammen mit der 1. Symphonie von den Berliner Philharmonikern uraufgeführt wurde, hinterlässt hier keinen bleibenden Eindruck, obwohl sie sein zu Lebzeiten meistaufgeführtes Werk war. Die vierzigminütige „Sphärenmusik“ hingegen, an der Langgaard im direkten Anschluss an die später verworfene „Sinfonia interna“ 1916 bis 1918 arbeitete, veranlasste György Ligeti beim Durchblättern der Partitur zu der Bemerkung, er habe bislang nicht gewusst, dass er ein Langgaard-Imitator sei – so durchsichtig und filigran, geradezu experimentell setzt der Mittzwanziger das Orchester ein, um Natureindrücke, vor allem Lichtwirkungen akustisch zu suggerieren: Die „Sphärenmusik“ stellt einen lange übersehenen Meilenstein der Musik des letzten Jahrhunderts dar, ein „missing link“ zwischen Holst („The Planets“, ebenfalls 1916) und Ligeti („Apparitions“, 1958–1959).
Leider verfolgte Langgaard diesen faszinierenden Weg nicht weiter, wie er überhaupt, je länger die öffentliche Anerkennung ausblieb, sich sowohl von seinem früheren Wagemut als auch vom ganzen damaligen Musikleben ab- und einer eigenen Auffassung von Spätromantik zuwandte, bis ihm auch dies gegen Ende seines nicht allzu langen Lebens (1893–1952) sinnlos vorkam: Die für großes Orchester und Chor gesetzte, dabei nur dreißig Takte umfassende Partitur von „Res absurda!?“ (1948) fordert, das Stück (dessen Titel auch den Gesangstext bildet) so lange in stets „flotterem und wütenderem Tempo“ zu wiederholen, bis keine weitere Steigerung mehr möglich ist: Wahrlich eine „Absurdität“, die erst hier, auf der letzten Folge von Dausgaards vorbildlichem Zyklus aller Langgaard-Symphonien, ihre Erstaufführung erlebt. Langgaard, dem es erst mit 47 Jahren gelungen war, einen festen Posten zu ergattern – eine Organistenstelle an der Kathedrale von Ribe, einem kleinen Ort in der dänischen Provinz – muss da schon ziemlich verbittert gewesen sein. Zu gelegentlichen Aufführungen seiner zahlreichen Werke in vielerlei Genres kam es bestenfalls im Rundfunk, von Druckausgaben konnte er sowieso nur träumen. Warum diese Zurückweisung? Nun, einerseits verfügte Langgaard über eine schwierige, fast paranoide Persönlichkeit, die ihm viele Feinde einbrachte, andererseits huldigte er einer beinahe fanatisch religiösen, pessimistischen Weltanschauung, sodass die großen Werke für Soli, Chor und Orchester wie etwa seine einzige Oper „Antikrist“, aus deren Erstfassung die Kantate „Endzeit“ entscheidende Stationen zusammenfasst, ohne seine eigenwilligen Vorstellungen vom Sinn des Lebens und des Todes, von Diesseits und Jenseits nicht wirklich zu verstehen sind – ein Problem, das bekanntlich auch die angemessene Rezeption von Stockhausens Spätwerk beeinträchtigt. Doch wenn wir kauzige Ideologie und stilistische Querständigkeit einmal außer Acht lassen, liegt im langsam sich steigernden „Präludium“ zur „Endzeit“ ein außerordentlich spannendes Stück Musik vor uns.
Die Symphonien 15 und 16 (auf dieselbe Zahl brachte es übrigens der andere große Außenseiter der skandinavischen Musik im 20. Jahrhundert, Allan Pettersson) sind eine Frucht der letzten Lebensjahre und scheinen starrsinnig alles zu ignorieren, was seit der Jahrhundertwende in der musikalischen Welt vor sich gegangen war, ein Einwand, welcher nicht nur gegen diese beiden, sondern im Grunde gegen fast jede der Symphonien Langgaards erhoben werden kann: Seine interessanteste Musik schuf er tendenziell außerhalb der symphonischen Gattung. Mit ganz anderen Ohren hört sein letztes Bekenntnis zur Spätromantik im Sinne eines Richard Strauss allerdings derjenige, welcher die Überzeugung teilt, dass die Musik ein göttliches Mittel sei, um Einsicht in eine höhere, geistige Welt zu erlangen – eine Auffassung, wie sie bereits die Niederländer, Bach und Bruckner vertraten.
Reinhard Schulz zum Gedenken, der das Thema einst in Auftrag gab.