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Von Butting bis Katzer

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Nova. Sinfonik in der DDR
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Nova. Sinfonik in der DDR. Werke von Hanns Eisler, Paul Dessau, Max Butting, Rudolf Wagner-Régeny, Johann Cilensek, Fritz Geißler, Siegfried Matthus, Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Manfred Schubert und Manfred Weiss; Berlin Classics 0184502 BC (5 CDs; Vertrieb: edel classics)

Berlin Classics, das Klassik-Stammlabel des Hauses edel, hat hier Archivschätze ausgewertet und bietet jedem, der an der Symphonikgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessiert ist, ein faszinierendes und – mit unvermeidlichen, aus unterschiedlichen, nachvollziehbaren Gründen gegebenen Lücken – repräsentatives Spektrum symphonischer Musik des für die meisten bereits in weite Ferne gerückten „anderen“, sozialistischen Deutschland. Es fehlen Namen wie Ottmar Gerster, Günter Kochan, Ernst Hermann Meyer oder Fidelio Finke, deren Musik teilweise anderswo erhältlich ist. Hanns Eisler, der Wiener Aushänge-Komponist der DDR, macht den Anfang mit zwei unübertroffen originellen Meisterstreichen der klassischen Moderne: den fünf Orchesterstücken und der Kammersymphonie (beide vor DDR-Zeiten entstanden).

Es folgt mit Paul Dessau der intellektuell-musikalische Kopf der Arbeiterbewegung, mit hochexpressiver Gebärde in robustem Klanggewand, handwerklich vollendete Fusion von „Nervenmusik“ mit dissonant gleißendem Existentialismus („In memoriam Bertolt Brecht“ und „Meer der Stürme“). Rudolf Wagner-Régeny (1903–1969) ist ein Solitär zeitloser Klassizität, Musik von großer Schönheit, Ausgeglichenheit und Würde, den Zeitstürmen entwachsen (3 Orchestersätze, Symphonische Ode). Johann Cilensek (1913–1998) gilt es in seiner Streichersymphonie als gediegen vehementen, stukturell souveränen Klassiker der Moderne zu entdecken. Herausragend in der detailreichen Dichte, klanglichen Invention und formalen Intensität, erscheint mir Fritz Geißler (1921–1984) nicht nur in der 2. Symphonie (1961–1963) als einer der eigenständigsten, begabtesten Symphoniker der DDR. Siegfried Matthus fesselt unmittelbar mit seinem eminenten Sinn für Klang und Dramatik, seiner begnadeten Orchestrationskunst (2. Symphonie) – wie ein neuer deutscher Berlioz. Friedrich Goldmann (1. Symphonie), Manfred Schubert (1. Symphonie) und auch Manfred Weiss (3. Symphonie) überzeugen allesamt als fähige Entwickler orchestraler Faktur zwischen Eklektizismus und verhaltener Eigenart.

Eine wirkliche Wucht ist Georg Katzers fulminantes 1. Orchesterkonzert (1973–1974), ein knappes, spektakulär substantielles Werk, das in jedem Konzertsaal der Welt ein Garantieerfolg wäre. Der vielleicht größte Schatz der Kollektion freilich kommt bei den Herausgebern selbst am schlechtesten weg. Amerikanische und britische Fachleute und Sammler sind begeistert, doch der Bookletautor (der ansonsten sehr ausführlich und kenntnisreich informiert) entschuldigt sich ärgerlicherweise für den „angestrengten Tonfall“ und zielt so darauf ab, den Hörer voreingenommen zu machen.

Max Butting (1888–1976) war ein Glücksfall für die DDR-Kultur: Ein großer Meister der klassischen Moderne, der jenseits der Ideologisierung ein weitgespanntes Œuvre höchster Meisterschaft hinterließ, das nur aufgrund der Provinzialität seiner Umgebung international aus dem Blickfeld geriet. Es ist höchste Zeit für die umfassende Entdeckung und Würdigung eines Mannes, der neben tonangebenden Figuren wie Schönberg, Hindemith, Krenek oder Hartmann einen ebenbürtigen Platz in der Geschichte beanspruchen dürfte. Mit der sich über eine knappe halbe Stunde in einem Satz spannenden 9. Symphonie von 1956 ist unter der musikantischen Stabführung Franz Konwitschnys ein Gipfelwerk Butting’scher Gestaltungskraft zu hören – in der Tat eine Musik, die sich bei aller unmittelbaren Eindringlichkeit oberflächlichem Konsumieren nicht eröffnet, sondern ungeteilte Aufmerksamkeit und Hingabe von allen Beteiligten einfordert. Das so spannende wie abstrakte „Programm“ des Werks: die „Lebensgeschichte eines Themas“. Eine große Entdeckung! Was Orchester und Dirigenten (Herbert Kegel, Max Pommer, Vaclav Neumann, Hans-Peter Frank, Kurt Sanderling, Blomstedt, Masur etc.) betrifft, ist querbeet das hohe Karat des sozialistischen Deutschland vertreten und bürgt für authentische Präsentation.

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