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Aus der Welt der Popindustrie.
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Wahnsinnige Wiener treffen bärige Berlinerin

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Neuveröffentlichungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Aktuelles von: Erik Cohen, Skunk Anansie, The Corrs, Coldplay, Kitty Solaris und Wanda.

Nachtrag aus 2015. Da wäre das großartige, renitente und aufgeschmuckte Album „Bussi“ der Wiener Band Wanda aus dem Oktober fast untergegangen. Fünf Wiener, deren Musik so gar nicht beschreibbar ist, aber für Musikbeschreiber ja sein muss. Und leider können die dann auch noch alles verdammt gut und cool. Laut. Leise. Irre. Wahnsinnig. Romantisch. Draufgängerisch. Arrogant. Bodenhaftig. Songs wie „1, 2, 3, 4“, „Bussi Baby“, „Gib mir alles“, „Alarm“ oder „Das wär schön“ waren definitiv seit Jahren nicht mehr zu hören. Große Kunst, große Gefühle und endlich Texte, die so sinnlos erscheinen, so an den Haaren herbeigezogen sind, aber im Endeffekt mit der ganzen Faust aufs Auge gehen und jeden Einzelnen entlarven. Respekt, Respekt, Respekt. (Wandamusik)

Ähnlich Wunderbares wie aus Wien kommt mit Kitty Solaris und dem neuen und fünten Album „Silent Disco“ wieder mal aus Berlin. Musik, die das momentane Zeitgefühl ziemlich lässig einfängt. Rudimentäre, runtergefahrene Popmusik als Zustandsbeschreibung. Dazu zarte, zierliche, nie vorherrschende Einflüsse aus aller Welt, die aber nicht auffallen würden, fände man sie nicht im Begleitzettel der CD. Immer wieder verblüffend: die Leichtigkeit und Wärme der Songs, die Kitty Solaris als Songschreiberin da scheinbar aus dem Ärmel schüttelt. Und das Beste: Man kann zu „Silent Disco“ tanzen. Aber genauso gut weinen, leiden und lieben. (Solaris Empire)

Okay. Ein neues Album von Coldplay. Man kann gleich ausrasten und das Ende der Popmusik herbeirufen. Oder reinhören. Unverbindlich. „A Head Full Of Dreams“ entpuppt sich gewiss als glattgebügeltes Popalbum. Da wurde keine Note dem Zufall überlassen und Spontaneität schlicht weggesperrt. Nichtsdestotrotz: Coldplay können Popmusik. Vor allem hymnische Refrains, die sich ins Gehirn meißeln und in diesem Sog dann die teils dümpelnden Strophen aufwerten und mit ins Hirn nehmen. Selten hat es popmusikalisch ein so gutes Timing zwischen Produktion, Songwriting und Bandfähigkeiten gegeben. Das ist freilich schnöde Radiomusik, aber auf „höchschtem“ Niveau. Das darf man loben und muss es auch nicht immer hören. (Parlophone Records)

Dass Popmusik verkauft werden kann, beweisen The Corrs aus Irland seit vielen Jahren. 30 Millionen Alben in zehn Jahren. Oha. „White Light“ nennt sich das neue Album und logischerweise gibt es Popmusik mit irischen Einflüssen. Das ist wie meistens und oft bei der Geschwister-Band dezent deprimierend oder traurig, aber klingt in manchen Ohren eben wunderschön melancholisch. Oder sagen wir erwachsen mit einem leichten Hang Richtung Lebensbejahung. Warum nicht. (Warner)

Aha. Die Briten Skunk Anansie mit ihrer – das sagt man wohl so – charismatischen Frontfrau „Skin“ sind zurück. Ihre Megahits „Weak“ (1995) und „Hedonism (1996) sind zwar schon etwas angestaubt, aber immer hörbar. Was nun zwischen den Hits und 2016 lag, mag spekulativ sein. Doch mit „Anarchytecture“ wollen sie zurück ins musikalische Leben. Leider gelingt das gar nicht. Kaum ein Song will sich entfalten, in jeder Note liegt eine bleierne Schwere, die vielleicht den Druck der Band beschreibt, zurück zu wollen. Zwar ist „Beauty is your curse“ noch eine Ausnahme, doch der Rest des Albums verliert sich in abgenudelten Riffs und Songs, die den Skunk Anansie der 90er nicht standhalten können. Schade. Echt. (Boogooyamma Records)

Extrem reizvoll und sicher kontrovers ist „Weisses Rauschen“ von Erik Cohen. Relativ ungeniert bedient er sich in jedem Song einer anderen Strömung der Rockmusik, lässt jene nicht ungeschickt einfließen, aber seine eigene Facette auch nicht übertünchen. Deutschsprachige Rockmusik ist ja seit langem kein Selbstläufer mehr. Vielmehr kommt es darauf an, die Peinlichkeiten, die da so am Wegrand liegen, zu umschiffen und seine eigene Rockwelt credible darzulegen. Das gelingt Erik Cohen sehr, sehr gut. Um es vorwegzunehmen: Nicht jeder Song schafft sich auf Anhieb eine Einflugschneise ins Herz respektive Ohr. Man muss schon genau hinhorchen. Erst dann werden Songs wie „Deine Dämonen“, „Regen“ oder „Das gute Gefühl“ in all ihrer Rohheit kleine Perlen, für die man gerne das Köpfchen aufs Lenkrad schlägt. So zum Mitgehen halt. (Ryl Nkr Recordings) 

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