So ein Pech aber auch. Kein Schwein interessiert sich im Frühjahr 2003 mehr für Oasis. In Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Soloalbum“, der sich seit 1998 fast dreihunderttausendmal verkauft hat, ist es für den Protagonisten, jenen jungen schnöseligen Musikredakteur beim vermeintlichen Hipster-Szeneblatt im vermeintlich superhippen Berlin, noch das Höchste der Gefühle, ein Exklusiv-Interview mit den Raudi-Brüdern Gallagher zugeschustert zu bekommen. Aber kann im Hier und Jetzt, anlässlich des Films zum Roman, noch jemand die Enttäuschung im Gesicht des befreundeten Redakteurskollegen verstehen? Kapiert jemand, warum die Bombast-Schnulze „Stop Crying Your Heart Out“ von jenen Oasis die große moralische Wendung im Film untermalt, die Erkenntnis der beziehungsweise das Bekenntnis zur Liebe per seitenlangem Brief? Und warum tippt dieser Twentysomething-Tunichtgut, der sich seiner gesamten Charakterisierung zufolge nie beim Farbbandwechsel den Finger schmutzigmachen würde, diesen Brief plötzlich auf einer alten Schreibmaschine?
Die Filmemacher, Regisseur Gregor Schnitzler samt den Drehbuchautoren Jens-Frederick Otto und Christian Zübert, hatten doch gemäß der Einblendung „frei nach dem Roman…“ alle Möglichkeiten, jenes stylische Nineties-Gezicke in diesem nächsten Jahrzehnt aufzulösen – auch mit anderer Musik.
Es mag allerdings sein, dass sie das gar nicht wollten. Vielleicht sollte „Soloalbum – Der Film“ der große Rundumschlag über den Hedonismus des letzten Jahrzehnts werden – basierend auf einer Schriftrolle aus jener Zeit, geboren aber aus seinen Resten in 2003, in Zeiten der Zeitschriften-Krisen, längst ohne „Tempo“, aber auch schon ohne „Jetzt“. Es funktioniert zwar angesichts des bildnerischen Tohuwabohus nicht so recht, aber das galt schon für Schnitzlers vorangegangenen Film „Was tun, wenn’s brennt“: Zwar macht er Jugendkultur oder das, was er dafür hält, mehr schlecht als recht nach. Aber das mit Budget: Immerhin legte er hier wie dort eine Ausstattungsorgie erster Kanone hin, in „Soloalbum“ sind’s mindestens die absurd großen Redaktionsräumen, die Sammelsuriumwohnungen oder auch der perfekt verstaubte Anrufbeantworter neben Bens im Liebeskummer versüfften Bett.
Allein: Niemand erinnert sich gern an den Mainstream der Neunziger, auch nicht mit Pomp. Und der Film „Soloalbum“ zeigt, warum. Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer mag sich noch so anstrengen, aus Arroganz lässt sich, wenn die Bilder schneller Pop sein wollen, nunmal kein Sympathie-Potenzial schlagen, solange man selbst im zerknirschtesten Augenblick noch cool sein muss. Pimmel-Witze mögen längst als „auch mal lustig“ gelten, aber wenn sie dann so dermaßen in die Länge gezogen werden wie Bens bestes Stück, das sich beim Pinkeln ins Auto seines vermeintlichen Nebenbuhlers im Fenster einklemmt, dann lacht auch kein Zwölfjähriger mehr. Die Dialoge wiederum mögen noch so schnell und schnodderig dem Ideal alter Screwball-Komödien nachjagen – die Pointen verpuffen fast alle unter dem Missverständnis, Schlagfertigkeit heiße einfach nur, eine Situation mit „der einen richtigen Antwort“ abzuschließen, nämlich der zynischen. Und platte Weisheiten über Popkultur hören sich immer gut an, selbst wenn man Sinn und Wahrheitsgehalt lieber nicht nachprüfen sollte: „Wenn Bands sich auflösen und die Mitglieder einzeln weitermachen,“ heißt es etwa, „gibt es leider ein unumstößliches Gesetz: Das Soloalbum ist immer scheiße.“ Wie gesagt: Klingt gut, wirft sogar den Roman- und Filmtitel ab, ist aber inhaltlich Unsinn.
Und dann ist da noch der Soundtrack. Der hechelt passenderweise vorwiegend dem Zeitgeist des melancholischen Post-Slacker-Gitarrenrocks der 90er hinterher (Readymade, Ocean Colour Scene und Sportfreunde Stiller), verschnitten mit einer Bestandsaufnahme des derzeitigen gemäßigten Elektronikpops (St. Etienne, 2raumwohnung, Jeans Team) und einem Alibi-Altmeister (Elvis Costello). Unabhängig von der Attraktivität einzelner Stücke: Die Auswahl versucht so sehr den einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen allgemeingültigem Qualitätspop und halbgaren Anspruchs-Alternativen zu treffen, dass einem jede Bravo-Hits-Compilation herzhafter vorkommt – und aktueller sowieso. Und auch Stuckrad-Barre hört bestimmt kein Oasis mehr.
Soloalbum. Roman. Kiepenheuer & Witsch, September 1998
Soloalbum. Das Buch zum Film. Goldmann, April 2003
Soloalbum – Der Film. D 2003. Filmstart: 27. März 2003
Soloalbum – Soundtrack (Universal Music); VÖ: 31. März 2003