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Zeit und Raum

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Cerha-Dokumente in ORF-Edition „Zeitton“
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Seit einigen Jahren engagiert sich der Österreichische Rundfunk mit einer sporadisch erscheinenden „Zeitton“-Edition auf dem hart umkämpften Markt der Compact Disc. Genutzt werden zu diesem Zweck zu großen Teilen Aufnahmen aus dem eigenen Archiv, für die Abrundung und natürlich auch zur personellen Aufwertung werden aber auch Produktionen (Mitschnitte) anderer Veranstalter miteinbezogen, soweit diese dem jeweiligen Vorhaben günstig gesonnen sind, beziehungsweise dessen mögliche Marktanteile nicht mit den eigenen kunstkommerziellen Zielsetzungen kollidieren. Ein großer Teil dieser Publikationen konzentrierte sich bisher – mit einigem Erfolg, darf man hinzufügen – auf die mediale Protektion von lebenden Komponisten, deren Werke ja nicht nur in Österreich bis auf wenige Ausnahmen nur schwach im aktuellen Schallplattenkatalog vertreten sind.

Seit einigen Jahren engagiert sich der Österreichische Rundfunk mit einer sporadisch erscheinenden „Zeitton“-Edition auf dem hart umkämpften Markt der Compact Disc. Genutzt werden zu diesem Zweck zu großen Teilen Aufnahmen aus dem eigenen Archiv, für die Abrundung und natürlich auch zur personellen Aufwertung werden aber auch Produktionen (Mitschnitte) anderer Veranstalter miteinbezogen, soweit diese dem jeweiligen Vorhaben günstig gesonnen sind, beziehungsweise dessen mögliche Marktanteile nicht mit den eigenen kunstkommerziellen Zielsetzungen kollidieren. Ein großer Teil dieser Publikationen konzentrierte sich bisher – mit einigem Erfolg, darf man hinzufügen – auf die mediale Protektion von lebenden Komponisten, deren Werke ja nicht nur in Österreich bis auf wenige Ausnahmen nur schwach im aktuellen Schallplattenkatalog vertreten sind. Eine Rundfunkanstalt wie der ORF leistet auf diesem Wege Aufklärung seines Publikums und Werbung für die entsprechenden Komponisten, sie engagiert sich aber auch im eigenen Interesse, indem sie nämlich auf dokumentarische Leistungen aufmerksam macht, die noch bis in die publizistisch streng reglementierten 80er-Jahre irgendwo in den Archiven gehortet blieben, bestenfalls im täglichen Sendeprogramm einmal kurz und dann – zu spätester Stunde – unter Ausschluss der Öffentlichkeit nachgespielt wurden. Die zu begrüßenden Initiativen auf dem Tonträgermarkt auf der Basis eines gut organisierten Eigenvertriebs (Direktversand) und in wachsender Kooperation mit professionellen, international vernetzten Vertriebsinstitutionen dienen also nicht nur einer wertschöpfenden Bilanzkorrektur, sondern stellen eine kulturgeschichtliche Leistung im Sinne von Minderheitenförderung und ästhetischer Pluralität dar, denn nicht wenige der auf solche Weise geehrten Autoren durften von einer einzig auf ihre Stücke konzentrierten Compact Disc nur träumen – es sei denn, sie produzierten sie in Eigenregie, was ja heute ein Kinderspiel ist, doch für den Wettbewerb im Konzert der Anbieter fehlt es dann zwangsläufig an geeigneten Verteilerstrukturen und damit auch an öffentlicher Resonanz.

 

Vor diesem medienpolitisch aktuellen Hintergrund ist jenes umfangreiche, ehrgeizige Projekt des ORF zu sehen und zu hören, das in einer kleinen Feierlichkeit am Rande der Salzburger Festspiele 2001 einer ausgewählten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Vom Umfang her sprengt die auf immerhin zwölf CDs das Schaffen und Wirken Friedrich Cerhas reflektierende Edition den Rahmen aller vorangegangenen Zeitton-Vorhaben. Und auch inhaltlich ist sie von einer Dichte und Tragweite, wie man sie in annähernd vergleichbaren, also personenbezogenen Anthologien nur selten erlebt hat. Umso rätselhafter erscheint es deshalb, warum die schonungslos eigenwilligen, dabei auch unterhaltsamen, in einer fabelhaften Mischung aus Intelligenz, handwerklicher Brillanz, materialspezifischer Abenteuerlust, Melancholie und bodenständigem Witz geborenen Werke verschiedenster Schaffensperioden bislang nur ausnahmsweise auf Tonträgern in den Handel gelangt sind. Die weiter unten im Anschluss an die Zeitton-Titel angeführten Veröffentlichungen (vgl. S. 18) zeigen, wie schmal das offizielle Cerha-Repertoire geblieben ist, wobei nicht nur das Missverhältnis von schöpferischer Qualität und Quantität des Dokumentierten zu denken gibt, sondern auch die Tatsache, dass der 75-jährige, aus Wien stammende Uhl- und Prihoda-Schüler in Österreich und in der Welt nun schon viele Jahrzehnte als Komponist, als Interpret und als musikmoralische Autorität unterwegs ist. Nicht zuletzt als Mitbegründer des 1958 formierten Ensembles „die reihe“, als Geiger und als Dirigent seiner eigenen und der Werke längst anerkannter oder zeitgenössischer Komponistenkollegen. Es handelt sich mithin um eine jener Karrieren, die in einer seltsamen Ambivalenz aus öffentlicher Gegenwärtigkeit und Zurückgezogenheit, ja Unerkanntheit einen geraden Weg bezeichnen, dessen Steigungswerte die etwas weitläufiger interessierte Musikwelt erst zu einem späten Zeitpunkt zu realisieren scheint. Eine der Hauptstationen auf diesem Weg zur Anerkennung und zu gründlicher Auseinandersetzung mit dem Phänomen Cerha war 1981 zweifellos die Oper „Baal“ im Auftrag der Salzburger Festspiele unter der musikalischen Leitung von Christoph von Dohnányi. Der ORF-Mitschnitt mit Theo Adam in der Titelpartie wurde bereits auf Schallplatten herausgegeben, aber in einer etwas graumausigen Verpackung und in Wahrheit an den Lebensadern des Markes vorbei geplant, sodass zu hoffen ist, dass Cerhas ungemütliche Vertonung des uralten, zeitlosen Stoffes im Rahmen der vorliegenden Zeitton-Kassette verstärkten Widerhall findet. Dabei wird es von großem Nutzen sein, ein kräftiges, intellektuell scharfes, in den entscheidenden Passagen aber auch sehr sinnliches Stück wie „Baal“ im Kontext zu Cerhas frühen Vokalarbeiten (dem „Buch von der Minne“ etwa), im analysierenden Vergleich zu seinen seriellen Selbstbeschränkungen und Sportlichkeiten oder auch in Gegenüberstellung mit einem provokanten, völlig unbotmäßigen Projekt wie dem Netzwerk für Sprecher, Bariton, Koloratursopran und Instrumentalisten zu erleben. Hilfreich dabei ist die übersichtliche Anordnung von Cerhas Kompositionen in einzelnen Rubriken, deren Mottos (wie etwa „Klangkompositionen“ oder „Engagement und Tradition“) sich nicht nur als leichtfertig angeklebte Etiketten erweisen, sondern als Spiegelungen lebens- und musikpraktischer Erwägungen und Experimente unter ganz speziellen Bedingungen.

Die zwölf CDs werden in einem Schuber geliefert, versehen mit einer ausführlichen Begleitschrift, die im Wesentlichen Originaltexte Cerhas enthält und damit für ein Höchstmaß an Authentizität bürgt. Cerha erweist sich hier als ein gewiefter, gelegentlich auch verschmitzter Mann des Wortes. Nicht nur in eigener Sache, auch in erhellender Präzision, was die Diagnose eines Jahrhunderts und die Beurteilung seiner Lehrer, seiner Komponistenkollegen und das Erbe der Vergangenheit anbetrifft. Besetzungen und Daten der jeweiligen Aufnahmen bis hin zum wienerischen Ausklang mit Cerhas fulminant ätzender Keintate auf Wiener Sprüche von Ernst Klein, bis hin zu neueren Kammermusikstücken und Orchesterwerken aus den frühen 90er-Jahren entsprechen den Bedürfnissen von Statistik und Sammlerinteressen. Leider konnte oder wollte man sich seitens des Herausgebers nicht dazu entschließen, Angaben zu den Werken und ihren Interpreten auch den einzelnen CDs beizufügen, sodass man immer wieder umständlich das Begleitbüchlein aufschlagen muss.

Diskografie

Cerha-Dokumente

  • CD 1 Frühwerke: Ein Buch von der Minne, Divertimento für acht Bläser und Schlagzeug, Zehn Rubaijat des Omar Chajjam (1. Buch), Klavierkonzert; Werner Krenn (Tenor), Klaus Christian Schuster, Thomas Larcher (Klavier); Radio Symphonie Orchester Wien; Ltg. Friedrich Cerha, Dennis Russell Davies
  • CD 2 Serielle Werke: Espressioni fondamentali, Relazioni fragili, Intersecazioni; Florian Müller (Cembalo), Ernst Kovacic (Violine); Klangforum Wien, Radio Symphonie Orchester Wien; Ltg. Friedrich Cerha
  • CD 3 Klangkompositionen: Mouvements I, II und III, Fasce, Spiegel I, VI und VII; Klangforum Wien, Radio Symphonie Orchester Wien; Ltg. Friedrich Cerha
  • CD 4 Engagement und Tradition: Und Du..., Verzeichnis, Langegger Nachtmusik I; ORF Chor, Ensemble „die reihe“, Radio Symphonie Orchester Wien; Ltg. Friedrich Cerha, Erwin Ortner
  • CDs 5 und 6 Musiktheater / Netzwerk: Netzwerk (Teile I–III / 1982–1980); Mircea Mihalache, Neven Belamaric, Wolfgang Dosch u.a. (Sprecher), Arthur Korn (Bariton), Donna Robin (Koloratursopran); Ensemble „die reihe“; Ltg. Friedrich Cerha
  • CDs 7–9 Musiktheater: Baal; Theo Adam, Helmut Berger-Tuna, Marjana Lipovsek, Martha Mödl, Heinz Helecek und viele andere; Wiener Philharmoniker, Christoph von
    Dohnányi
  • CD 10 Wienerisches: Keintate, Eine Art Chanson für einen Chansonnier; Heinz Karl Gruber (Chansonnier), Kurt Prihoda (Schlagzeug), Rainer Keuschnig (Klavier), Josef Pitzek (Kontrabass), Friedrich Cerha und Freunde
  • CD 11 Neue Kammermusik: Streichquartett „Magam“, Saxophon-Quartett, Achte Sätze nach Hölderlin-Fragmenten für Streichsextett; Cherubini Quartett, Wiener Saxophon-Quartett, Arditti String Quartet, Thomas Kakuska, Valentin Erben
  • CD 12 Neue Orchesterwerke: Langegger Nachtmusik III, Phantasiestück in C’s Manier für Violoncello und Orchester, Impulse; Heinrich Schiff (Cello), Wiener Philharmoniker, Radio Symphonie Orchester Wien; Ltg. Pierre Boulez, Friedrich Cerha

Streichquartett Nr. 3 (3. Satz); Arditti String Quartet; UE-CD zum 90. Geburtstag von Alfred Schlee

Baal-Gesänge; Theo Adam (Bariton); Gewandhausorchester Leipzig; Ltg. Kurt Masur; Berlin Classics 2072-2

Requiem der Versöhnung: Introitus und Kyrie; Gächinger Kantorei, Israel Philharmonic Orchestra; Ltg. Helmuth Rilling; Hänssler 98.931

Spiegel II; SWF-Sinfonieorchester Baden-Baden; Ltg. Ernest Bour; col legno 31899

Slowakische Erinnerungen aus der Kindheit (Ausschnitt); Josef Mayr (Klavier); Extraplatte 388/2

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