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Kaum ein anderer Komponist reflektiert die Schreckenspotentiale der Gegenwart momentan so eindringlich wie der aus Israel stammende Komponist Eres Holz. Vordergründige Inhalte oder politische Botschaften wird man dennoch vergeblich suchen. Alles Existentielle ist bei Holz direkt in die Sphäre des Klangs und seiner Artikulationen transformiert. Deren unmittelbar physische Vibrationen tragen in Zeiten des Krieges aber nicht nur das Grauen in sich, sondern auch eine trotzige Energie des Widerständigen. Eine Klang-Szenerie, wie sie unwirtlicher kaum sein könnte, entwerfen zwei Bassklarinetten und Live-Elektronik im titelgebenden „DEATH“ (2023). Das Vokabular ist unbarmherzig: dröhnende Multiphonics und Registerextreme, die Schmerzgrenzen bewusst überschreiten. Am Ende verliert sich der eruptive Klangtaumel in den totalen Kontrollverlust, als sei auch der Komponist nur noch Opfer der einmal losgetretenen Entsicherung. Vom Trauma kriegerischer Gewalterfahrungen ist die Ensemblekomposition „Ein Mensch erkennt, dass er nie Mensch war“ (2023) bewegt. Sie basiert auf psychiatrischen Gesprächsprotokollen deutscher Kriegsheimkehrer aus dem 2. Weltkrieg. Mikrotonale Klanggewebe oder „verheerende“ Massierungen evozieren in vier unsteten Sätzen Momente der Angst und Ohnmacht, Sinnlosigkeit und Realitätsflucht, Schuld und Entfremdung. (Neos)
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Dialoge musikalischer Vergangenheit und Gegenwart sind ein Markenzeichen des Kuss Quartetts. Nun fungiert Schuberts Streichquartett Nr. 14 d-moll „Der Tod und das Mädchen“ als expressives Gravitationszentrum für Auftragswerke von Iris ter Schiphorst und Mark Andre. Ter Schiphorst verwendet in „Sei gutes Muts“ (2021) fragmentarische „O-Töne“ aus der prominenten Liedvorlage, die sie von den Instrumentalisten flüstern und sprechen lässt. Als würde sie auf den Sinn der Worte reagieren, setzt eine Blockflöten-Stimme explosive Akzente in die flüchtigen Referenzen: eine fast szenisch anmutende Synthese aus Claudius-Text und Streichquartett-Klang. Mark Andre ist bekanntlich ein Meister feinnerviger Zwischenwelten aus Ton und Geräusch, die sich an der Schwelle von Klang und Nicht-Klang bewegen. Seine „Sieben Stücke für Streichquartett“ (2022/23) präsentieren Aphorismen, in denen ein Pizzicato zum Großereignis werden kann, aber auch überfallartig scharfe Expressivität. Brillante Aufnahmetechnik und tiefenperspektivisch differenzierte Ausgestaltung treffen auch in Schuberts Streichquartett-Ikone auf’s Glücklichste zusammen. Lange hat man dort nicht mehr eine so gelungene Kombination von Transparenz, rhythmischer Verve und kantiger Expressivität gehört. (Rubicon)
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Der kompositorisch erzeugte Raum ist das Kardinalthema Erhard Grosskopfs, wo „Musik nicht an unseren Ohren vorbeizieht, sondern wir uns in ihr wie in einem Raum bewegen.“ Das gilt für Grosskopfs Streichquartette quasi in Reinkultur, die hier in exzellenten Live-Mitschnitten vom Festival Ultraschall veröffentlicht sind. Mathematisch ausgeklügelte Zeitproportionen lenken die kreisenden Prozesse im 3. Quartett op. 50 (1997/98) und dennoch ist die Gegenwart des Klingenden hier das all Entscheidende.