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Zeitreisen und Evergreens

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Neue Veröffentlichungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Platten von: The Fratellis, Kim Wilde, The Decemberists, Judas Priest und den Stone Temple Pilots.

Mein Gott, ist das lange her. Ein Album der Stone Temple Pilots (STP), die mit dem Tod ihres Sängers Scott Weiland stürmische Zeiten überleben mussten. Neuer Sänger ist nun Jeff Gutt. Und da Vergleiche immer hinken, lassen wir das gleich mal. Wir hören selbstverständlich ein Rockalbum. Viele Gitarren. Riff basiert. Laut. Leise. Grungig. Wir folgen den Gesängen des Jeff Gutt, wollen natürlich irgendwo Scott Weiland entdecken, tun wir aber nicht. Und das ist nicht das Schlechteste auf diesem Album, das sich nennt wie die Band: Stone Temple Pilots. Man kommt nicht gleich rein, braucht ein paar Minuten, aber mit der Erinnerung an die 90er, die Hochzeiten des Grunge und der STP ­schwingt sich auch dieses Album auf hörenswerte Höhen. Es wirkt ausgeglichen, vermeidet jede zeitgemäße Anbiederung und klingt doch roh, unverblümt und dezent schräg nach den STP. Ja. Wenn man so möchte: Comeback gelungen. Anspieltipps: Six Eight, Never Enough, Finest Hour. (Play Pen Music)

In fast das gleiche Horn pusten oder trompeten die Männer von Judas Priest, die ja einst den Heavy Metal miterfanden. Sind einfach nicht tot zu kriegen, die Briten. „Firepower“ ist irgendwie ein typisches Priest-Album, aber dann auch wieder nicht. Warum? Weil es nicht aus der Zeit gefallen klingt, aber doch andeutet, woher die Burschen kommen. Vielleicht ist der Sound etwas zu sehr mit dem Glätteisen manipuliert worden, aber letztendlich drücken Doublebass, Bass, Gitarren und Gesang mächtig nach vorne und könnten wohl einige Güterzüge ein paar Kilometer schieben. Rob Halfords Stimme koordiniert das Ganze nach wie vor schneidig, schnittig und schmissig. Ein Heavy-Metal-Album, das Spaß macht, eine kleine Zeitmaschine ist und kurzweilig die Zeit vertreibt. Anspieltipps: Firepower, Never The Heroes, No Surrender. (Sony)

Sehr cool. The Decemberists und ihr Album „I’ll be your girl“. Es ist einfach so herrlich unklar, in welche Richtung The Decemberists gehen und deshalb ist jeder Song ein Mini-Aha-Erlebnis. Alles gibt es hier. Country, Rock, Songwritertum, Pop, Americana, Disco, Folk, Alternative. Ja, vielleicht sogar Wave. Und jeden Song spielen sie da in ihrem eigenen Charakter. Ohne Klischees, ohne Plattitüden, ohne Anleihen. Dann wird es auch erfrischend. Blumig. Und klingt angenehm generös, was sie uns da so zukommen lassen. Selten hat man sich auf die ersten zehn, zwanzig Sekunden eines Songs so gefreut. Und dann gibt es im Song noch Wendungen, Steigungen, Biegungen. Wirklich und wahrhaftig ein sehr gutes Album. Ja, könnte zeitgeistig sein. Anspieltipps: Cutting Stone, Tripping Alone, Your Ghost. (Rough Trade)

Wie jetzt? Ein neues Kim-Wilde-Album? Echt? Na dann. Mal reinhören, was die Pop-Ikone der 80er im Jahr 2018 mit „Here come the Aliens“ auf der Pfanne hat. Nun, zunächst einmal mehr Charakter, Attitüde und Haltung als alle Popsternchen dieser Social-Media-Welt. Schon die ersten drei Songs zeigen das, klingen allerdings – ach wie überraschend – so britisch, so Stock/Aitken/Waterman-mäßig, dass man sich leicht verhört und meint, auch Kylie Minogue könnte das singen. Oder Rick Astley. Aber gut. Wenn schon Pop, dann ordentlich. Und das beherrscht Kim Wilde ziemlich wunderbar. Es ist tatsächlich diese lange vermisste Art des Pop, die man hört, wahrnimmt und so ein klein bisschen mitnimmt in den Tag. Und. Diese Popmusik tut nicht weh. Im Vergleich zu Katy Perry und der restlichen Klonarmee. Mit gutem Gewissen ist mindestens ein Reinhören in „Here come the Aliens“ zu empfehlen. Anspieltipps: 1969, Pop don’t stop, Kandy Krush. (earMUSIC)

The Fratellis mit dem nächsten Album, „In your own sweet time“. So ein weises Stückchen sind sie von diesem hibbeligen ADHS-Sound der letzten Alben abgerückt. Klingen trotzdem und schon noch sehr aufgeregt, aufgekratzt und immer leicht drüber. Als würden die Bee Gees hyperventilieren. Aber, insgesamt erzeugen The Fratellis dennoch gewaltige Ohrwürmer, das muss man ihnen nicht nur lassen, sondern weitestgehend attestieren. Ob sich dieses Konzept eventuell demnächst mal selbst überholt oder auslutscht, werden die Fans, die Hörer entscheiden. Dieses Album geht auf jeden Fall noch durch und eckt noch nicht an. Anspieltipps: Stand Up Tragedy, I’ve been blind. (Cooking Vinyl)

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