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Pop total: Von allen Rock-Gazetten blickte uns diesen Sommer gelangweilt und frech eine rothaarige Rotzgöre entgegen, welche offensichtlich die gesammelten Männerphantasien in den Musikredaktionen zu bündeln vermochte: „Oral-Akrobatik mit Shirley Manson“ oder „Shirley Manson über ihr Image als Sex-Symbol“ waren nur die harmloseren Aufmacher, die vor allem von einem ablenken: der bemerkenswerten Musik von „Garbage“.Von Drummer und Produzent Butch Vig, der mit Gruppen wie Nirvana, Sonic Youth oder den Smashing Pumpkins Pop-Geschichte geschrieben hatte, erwartete man vor drei Jahren, daß er mit seiner neuen Band eine krachige und „alternative“ CD abliefern würde. Doch der gewiefte Producer – schon in jungen Jahren Präsident des „Roxy Music“-Fanclubs in seiner Heimatgemeinde Madison – besann sich auf traditionelles Pop-Handwerk: kurze und stabil komponierte Songs, deren Raffinement in der Reduktion auf wenige, sofort wiedererkennbare musikalische Zeichen besteht.
Mochte die erste Erfolgs-Single „Stupid Girl“ Außenstehenden noch als cleverer Verschnitt von Velvet Underground und einem Sample-Groove erscheinen: Das CD-Debut „Garbage“ war auch noch beim zigsten Durchhören in Konstruktion und Produktion brillant, unkaputtbar.
Lange vermißte Pop-Qualitäten aus seligen ABBA- oder Pet Shop Boys-Zeiten vermochte Butch Vig mit jenen kratzbürstigeren Soundvorstellungen zu verbinden, die auch seine Kollaborationen mit Nirvana auf „Nevermind“ oder den Smashing Pumpkins auf „Siamese Dream“ prägten. Dazu Shirley Manson als Medium, visuell und akustisch. Sie singt die im Kollektiv komponierten Songs so, als wären es ganz die eigenen: schnörkel- und fast emotionslos, mehr hin- denn darstellend, eher abweisend als sexy. Manchmal Anklänge an Chrissie Hynde, manchmal an Debbie Harry, derartige Vergleiche nimmt die Schottin in Interviews als Kompliment.
Das Bühnenauftreten von Shirley Manson und ihrer zunächst als Retortengruppe gescholtenen Mitmusiker und -produzenten straft ebenfalls das erotische Presse-Image Lügen: Etwas unbeholfen, fast verbissen absolvieren die Musiker ihr Set von unwiderstehlichen Ohrwürmern, wenig um die Animation des Publikums, aber ständig um Kontrolle über Sound und Rhythmus bemüht. Die offensichtliche Kluft zwischen oberflächlicher Pop-Wirkung in Video und Presse und den schockierend normalen Menschen, die dahinter stehen, ist gewollt: Das ist die Verpackung, aber hier sind wir, sagen die vier Musiker von Garbage, wen habt ihr sonst erwartet? Auch die Texte sprechen diese Sprache zwischen Traum und alltäglicher Ernüchterung: „I’m living without you/ But I know all about you/ I have run you down into the ground/ and spread disease about you over town/ Do you have an opinion?/ A mind of your own?/ I thought you were special/ I thought you should know.“
Hier wird Massenkunst produziert, eben „Garbage“, welche die Grenzen ihrer Wirksamkeit und Reichweite genau kennt. Hier wird offengelegt: Da ist ein Popsong, dort ein Mädchen mit roten Haaren, wegen der ihr diesen Song gekauft habt, jetzt beurteilt bitte den Song selbst! Dies ist ehrlicher als all jener Pop, der Image und Persönlichkeit des Künstlers als universale Projektionsfläche für verschwommene Fan-Vorstellungen nutzt und ausnutzt. Dazu Shirley Manson: „In den Staaten müssen Musiker den Rang von Superstars einnehmen, auch in ihrem Verhalten. Sie müssen wild sein, ausgeflippt und auf tollen Parties rumhängen und diesen ganzen Blödsinn machen. Und eben weil wir uns verweigern, haben wir auch keine Probleme mit den Fans.“
CDs: Garbage, RCA 21295972
Version 2.0, BMG 74321 55410 2